7 WOCHEN ACHTSAMKEIT: EIN FASTEN WIE ICH ES LIEBE

FREI WERDEN ZU EINEM LEBEN IN FÜLLE

Wer fastet, der hat die Chance, sich selbst zu überraschen: Fällt es mir leicht, sieben Wochen auf Schokolade zu verzichten? Ist mein Leben anders, wenn ich keinen Rotwein trinke? Was entdecke ich, wenn ich täglich einen Psalm lese? Wie verändert sich mein Leben, wenn ich den Menschen in meiner Lebens- und Arbeitsumgebung aufmerksamer und wohlwollender begegne? Die Fastenzeit bietet ungeahnte Möglichkeiten, denn: Wer fastet, der schafft sich selbst neue Freiräume, wird ein neuer Mensch.

„Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst.“ So lautet die Formel, während uns das Aschenkreuz auf die Stirn gezeichnet wird. Ziemlich eindeutig macht der Aschermittwoch klar, dass auch die Endlichkeit unseres Lebens sich mitten im Leben abspielt. Das Bewusstsein unserer Endlichkeit verweist uns so radikal auf die Einzigartigkeit unseres Lebens. Mit dem Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit, eine Zeit bewusster Aufmerksamkeit für unser Leben.

LEBEN IN FÜLLE FÜR ALLE

In der Bibel ist Fasten oft nicht Sache eines oder einer Einzelnen, sondern es steht für die Umkehr einer ganzen Gesellschaft. Fasten steht in der Tradition auch dafür, gegen gesellschaftliche Missstände anzugehen.
„Nein, das ist ein Fasten wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten frei zu lassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.“ (Jesaia 58,6-7).

Jesaia fordert, den Mitmenschen zu sehen und ihm zu helfen, wieder mehr zu sehen, wo Hilfe nötig ist, mehr zu hören, wenn jemand bittet, wieder mehr zu fordern, wenn Ungerechtigkeit sich breitmacht, sein Leben einzusetzen für eine mögliche bessere Welt. Fasten ist keine Privatsache, sondern berührt uns und unsere realen gesellschaftlichen Verhältnisse, lenkt das Augenmerk auf unser Tun und unser Umfeld. Fasten heißt hier, Ungerechtigkeit wahrzunehmen und die möglichen eigenen Schritte zu setzen, sich mit anderen zu solidarisieren, Unrecht sichtbar zu machen und an der Veränderung mitzugestalten. Fasten bedeutet, die Welt, die Menschen, vor allem die Geknechteten und Leidenden zu sehen und menschenfreundlich zu handeln. Denn die biblische Zusage ist ein Leben in Fülle für alle, gutes Leben für alle. Das kann nur gelingen, wenn wir im Mitmenschen unseren Bruder, unsere Schwester sehen und ihnen barmherzig und wohlwollend begegnen.

Gleichzeitig ist es auch wichtig, uns selbst in den Blick zu nehmen, wie es Bernhard von Clairvaux (1091-1153) beschreibt:
GÖNNE DICH DIR SELBST!
Wenn du dein ganzes Leben und Erleben
völlig ins Tätigsein verlegst
und keinen Raum mehr für Besinnung vorsiehst,
soll ich dich da loben?
Wie kannst du voll und echt Mensch sein,
wenn du dich selbst verloren hast?
… Denk also daran: Gönne dich dir selbst

AUFMERKSAMKEIT UND WACHSAMKEIT

Fasten verändert also Leben, das eigene und das der Mitmenschen. Veränderung braucht Neubesinnung, Offenheit und den Mut, sein Leben auf- und auszuräumen. Wer Fülle will, muss leer werden. Mit vollen Händen kann man nichts empfangen. Fasten fordert auf, unser Leben großzügig zu teilen.

Das mittelhochdeutsche Wort „vasten“ bedeutet „(fest-)halten, beobachten, bewachen.“ Die Fastenzeit regt uns an, uns und unserer Umgebung die gebührende Aufmerksamkeit und Wachsamkeit zu schenken. 40 Tage können wir uns immer wieder Zeitgeschenke gönnen in einer Welt der Turbulenzen und Hochgeschwindigkeit. Hier tut ab und zu auch Stille gut. Denn Stille ist eine Erholungsreise fürs Gehirn. Leben wird uns geschenkt, mit jedem Atemzug neu. Das kann uns gerade in der Fastenzeit wieder mehr bewusst werden. Genießen wir jeden Atemzug und Augenblick in Dankbarkeit. Jede Minute ist eine unbezahlbare Kostbarkeit.

Fasten verdichtet unser Leben, kann uns helfen, den Blick freizugeben auf das Wesentliche unseres Lebens. Was wollen wir wirklich? Was brauchen wir wirklich? Wir können bewusster konsumieren, im Zweifelsfalle weniger.

7 WOCHEN ANDERS LEBEN

Die FASTEN-ZEIT lädt uns ein, „7 Wochen anders zu leben“.
7 Wochen unseren Stärken Raum geben, unseren Fähigkeiten nachspüren und sie mit anderen zu teilen. Ich bin wichtig und wertvoll, ich nehme mir Zeit für mich und andere. Wir können auch bewusst das wahrnehmen, was uns im Leben Gutes begegnet.
7 Wochen Zeitgeschenk einmal im Jahr als Unterbrechung des Gewohnten und Alltäglichen sind eine tolle Sache.
7 Wochen bewusst den Kontakt mit Freunden pflegen, mit unseren Ideen andere anstecken. Denn wo zwei oder drei gemeinsam etwas teilen wird es lebendiger und lustvoller. In der Gemeinschaft finden wir Unterstützung, können uns Kraft holen, finden ein Ohr für Gespräche, dürfen auf Unterstützung hoffen, können uns auch in vermeintlich schwierigen Situationen Mut machen.
7 Wochen unseren Mitmenschen freundlich begegnen, denn unsere Haltung, unsere Einstellung, unser Gesichtsausdruck, unsere Gedanken verändern uns und die anderen. Lächle deinen Mitmenschen zu. Das verändert, erstmal schon dich und mit Sicherheit auch dein Gegenüber. Und im Übrigen ist Lachen, ein Lächeln gut gegen Falten.

7 WOCHEN ZEIT FÜR NEUES

7 Wochen haben wir Zeit, unserer Seele auf den Grund zu gehen, unserer Mitte nachzuspüren, unserem Leben, unseren Herzensangelegenheiten Frei-Raum zu geben. 7 Wochen haben wir Zeit zu überlegen, worauf wir in unserem Leben verzichten möchten, um dadurch Leben und Lebendigkeit zu gewinnen, zum Beispiel nur mehr jeden zweiten Tag oder einmal die Woche die E-mails abrufen, oder gar erst wieder nach Ostern, uns einen fernsehfreien Abend pro Woche gönnen, keine Tageszeitung mehr lesen, dafür 5 Minuten in die Luft schauen und uns am Leben freuen, ab und zu zu Fuß gehen und das Auto stehen lassen und dadurch unsere Umgebung neu wahrnehmen …

7 Wochen ohne das eine und dafür Platz für Neues, für das, was ich mich bisher nicht getraut habe. 7 Wochen Zeit für „Gutes Leben“. Verzichten wir auf das, was uns gefangen nimmt oder belastet, auf die unangenehmen Dinge. Lassen wir das sein, was uns nicht lustig ist im Leben, dann bleibt uns mehr Zeit für das über, was unser Leben ausmacht, was uns gut tut und unsere Lebendigkeit fördert. Spüren wir in uns hinein, was uns gut tut. Denn nur wer sich selbst gut versorgt, kann auch gut auf andere schauen.

Wir haben mit der Fastenzeit die Chance, Neues zu wagen, Vertrautes mit einem neuen Blick zu sehen, für ein paar Wochen auf Gewohntes zu verzichten, um etwas anderes zu wagen oder Altem wieder neue Räume zu eröffnen. Manche Freiräume laden auch ein zum süßen Nichtstun, einfach sein, einfach alles für eine Weile sein lassen. Vielleicht stellen wir in der Veränderung auch eine innere Unruhe fest …

Müssen wir wirklich …
… sofort antworten, wenn wir eine Mail bekommen haben?
… beim Handy abheben, wenn es läutet?
… immer freundlich sein, auch wenn uns nicht danach ist?
… zu einer Veranstaltung gehen, obwohl wir keine Lust haben?
… zustimmen, obwohl unser Herz was anderes flüstert?
… viel arbeiten, damit alle mit uns zufrieden sind?

DEM HERZEN FOLGEN

Ich will zu mir stehen und das tun, was mir entspricht, meinem Herzen folgen. Und mir immer wieder die Frage stellen: Was möchte ich von HERZEN gerne tun? Nehmen wir uns Fasten-zeit. Wagen wir die Veränderung! Gehen wir einfach los! Entdecken wir unsere Sehnsüchte und Hoffnungen neu und geben ihnen Raum! Raum zum Leben. Was möchten wir tun? Wovon möchten wir uns verabschieden?

Und: keine Angst vor dem Scheitern: Wenn wir ein Vorhaben nicht schaffen, beginnen wir am nächsten Tag einfach von Neuem. Nähren wir unsere Freuden täglich neu. Denn die Seele nährt sich von dem, was ihr Freude macht.

In diesem Sinne kann uns die kommende Fastenzeit Anstoß sein, uns wertvolle, wesentliche Augenblicke und aufmerksame Wahrnehmungen zu gönnen im Gehen auf Ostern hin, dem Fest der Auferstehung und der Neuausrichtung. Möge uns unsere Ausrichtung aufeinander zu immer wieder neu gelingen, damit der Geist der Menschenfreundlichkeit immer mehr Platz greife.

Ordensgeistlicher Matthias David