Predigtgedanken zum 30. Sonntag im Jahreskreis Lk 18: 9 – 14
SEHNSUCHT NACH SPIRITUELLEM LEBEN
Schon seit einigen Jahren befinden sich Esoterik und Spiritualität in Hochkonjunktur. Als ich kürzlich in einer Buchhandlung war, fiel mir dieser Trend besonders stark auf. Spirituell esoterische Literatur findet sich nicht mehr allein in den einschlägigen Abteilungen von Religion und Esoterik, sondern auch in der Philosophie und Populärmedizin. Neben einer Vielzahl unterschiedlicher Bücher werden auch Raucherstäbchen, Buddha-Figuren, Voodoo-Puppen, keltische Opfertücher usw. angeboten. Die Palette ist derart breit angelegt, dass fast jede spirituelle Vorliebe ausgelebt werden kann. Da Angebot und Nachfrage den Markt regeln, ist dieses breite Angebot ein Indiz dafür, wie stark in unserer Gesellschaft die Sehnsucht nach einem spirituell geprägten Leben ist.
Der Evangelist Lukas bringt in seinem Evangelium immer wieder Impulse, wie ein spirituelles Leben gelingen kann. Im elften Kapitel stellt er mit dem Vater Unser und dem Urvertrauen in Gott die Essentielles für gelingendes Beten vor. In den ersten Versen des 18. Kapitels zeigt er anhand des Gleichnisses vom gottlosen Richter und der Witwe, dass unser Gebet ausdauernd und aufdringlich sein sollte. Im heutigen Evangelium, das ebenfalls dem 18. Kapitel entnommen ist, führt der Lehrmeister des Gebets weitere für eine spirituelle Lebensgestaltung wertvolle Aspekte an. In der Gegenüberstellung zweier betender Männer erfahren wir, was wir bei unserem Beten beachten sollten.
ZWEI ARTEN ZU BETEN
Wenden wir uns zuerst dem ersten Beter, einem Pharisäer, zu. Er dank Gott. Dieses Danken weist aber einen negativen Beigeschmack auf, denn er vergleicht sich mit anderen Menschen und wertet diese ab. Er meint besser zu sein als die anderen, die sich nicht an die Gebote Gottes halten. Als frommer und praktizierender Jude unterliegt er der Gefahr, die Sünden und Verfehlungen der anderen anzuprangern, um selbst besser dazu stehen. Sein Beten ist ein Vergleichen mit anderen sowie ein Pochen auf eigene religiöse Leistungen und behindert so einen tiefgehenden Dialog mit Gott. Erst wenn Gott im Mittelpunkt steht, und ich mein Leben im Licht Gottes zu sehen beginne, bekommt mein Beten den nötigen Tiefgang, der meine Seele zu berühren und zu nähren vermag.
Der zweite Beter, ein Zöllner bzw. Steuereintreiber, weiß, dass er ein Leben führt, das sich zu wenig an den Geboten Gottes orientiert. Deshalb bleibt er auch mit gesenktem Haupt ganz hinten stehen. Sein Gebet kommt ohne Vergleiche und ohne Selbstbeweihräucherung aus. Es ist ganz kurz und einfach. „Sei mir Sünder gnädig.“ Ein solch ehrliches Gebet kommt einem nicht so leicht über die Lippen. Es braucht schon eine Menge Mut, um sich einzugestehen, was man wirklich ist. Diesen realistischen, nicht beschönigenden Blick lobt Jesus und meint, dass der Zöllner und nicht der Pharisäer als gerechter Mensch nach Hause gehen wird.
REALISTISCHER BLICK AUF SICH SELBST
Wer sich entschlossen hat, ein spirituelles Leben zu führen, muss um diesen realistischen Blick ringen, um nicht irgendwelchen Illusionen zu erliegen. Intuitiv weiß der Zöllner, dass er Gott und sich selbst nichts vorzumachen braucht, sondern so wie er ist, zu ihm kommen und mit ihm in Beziehung treten kann. Das realistische Eingeständnis, Sünder zu sein, ist eine entscheidende Voraussetzung für eine geerdete und gesunde Spiritualität und nicht eine unnötige Demütigung, die die spirituelle Entfaltung hemmt. Entscheidend ist dabei die vertrauensvolle Grundhaltung, dass Gott wie ein liebender Vater ist und nur unser Bestes will. Lukas drückt das bezüglich des Bittgebetes so aus, wer Gott um einen Fisch oder um ein Ei bittet, erhält auch einen Fisch oder ein Ei und nicht etwa eine Schlage oder einen Skorpion.
Nach dem biblischen Lehrmeister beginnt ein spiritueller Lebensstil mit einem realistischen Blick auf sich selbst in der Gegenwart Gottes. Daraus erwächst die innige und wohltuende Beziehung zwischen Menschen und Gott, nach der sich heute so viele Menschen sehnen. Amen.
Seneschall Matthias David