AUSGESETZT
Zur Zeit Jesu war Aussatz eine unheilbare, ansteckende Krankheit und Seuche. Aussätzige wurden daher ausgesetzt. Sie mussten ihre Familie, vielleicht sogar Frau und Kinder, ihren Wohnort, Freunde und Nachbarn für immer verlassen und sich an einsamen, isolierten Plätzen aufhalten. Wenn sich jemand, z.B. ein Fremder, dem Gebiet von Aussätzigen näherte, waren diese verpflichtet, durch Zurufen auf sich aufmerksam zu machen, damit der Gesunde Abstand hielt und sich durch Nähe oder Berührung nicht ansteckte.
Trostlos und hoffnungslos war das Leid der Aussätzigen: Sie litten unter wahnsinnigem Juckreiz. Zunehmend wurde ihr ganzer Körper eitrig und verunstaltet. Der sichere Tod stand ihnen vor Augen. Wenn sie in Gruppen zusammenlebten, konnte man an den Kränkeren miterleben, wie schrecklich man selbst einmal enden würde.
Solch ein Aussätziger sah Jesus kommen. Vielleicht war es eine Verzweiflungstat, vielleicht allerletzte Hoffnung, die diesen Menschen trieb, etwas für damalige Zeiten unerhört Schlimmes zu tun. Der Aussätzige warnt Jesus nicht, sondern durchbricht alle Vorschriften und geht auf Jesus zu. Dieser schaut ihn an, weicht nicht entrüstet zurück, erbarmt sich seiner und heilt ihn. Dann schickt er ihn weg mit dem eindringlichen Gebot, über das Geschehene mit niemandem auch nur eine Silbe zu reden.
UNREIN GEWORDEN
Auf den ersten Blick werden wir dieses Verhalten merkwürdig finden. Aber aus der Sicht Jesu wird es verständlich. Denn Jesus ist mit Aussatz in Berührung gekommen. Wer immer davon erfährt, wird ihn meiden wie die Pest.
Doch der Geheilte hält sich nicht an das Verbot Jesu. Überall erzählt er, dass er durch die Berührung Jesu heil geworden ist. Die Freude des Geheilten ist zu verstehen. Aber er handelt furchtbar naiv. Weil er den Mund nicht halten kann, kommt Jesu ins Aus, ins Ausgesetztsein. Im Text heißt es: „Darum konnte Jesus nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen, sondern hielt sich draußen an einsamen Orten auf“. Die Situation hat sich völlig gedreht. Durch seine gute Tat ist Jesus jetzt der Ausgesetzte. Er muss sich an einsamen Orten aufhalten.
Gutes tun wird nicht immer belohnt. Es kann an den Rand bringen, in die Isolierung oder in eine Ächtung durch die Menge führen.
AUSGESETZT UND ISOLIERT
In unserem Land gibt es keine Aussätzige mehr. Und doch sind bei näherem Zusehen mehr Menschen ausgesetzt und isoliert, als es zunächst scheinen mag. Wie oft gehören
– geistig oder körperlich Behinderte zu ihnen,
– psychisch Kranke,
– Obdachlose, Asylanten, schwierige Ausländer,
– Alkohol- und Drogenabhängige,
– entlassene Strafgefangene und neuerdings auch
– ein Heer von Quarantäne-Isolierten.
Sodann alle,
– denen wir schon lange kein gutes Wort mehr gesagt haben,
– gegen die wir unseren Groll und unsere Abneigung aufrecht erhalten,
– die wir endgültig abgestempelt und abgeschrieben haben,
– über die wir lachen und uns lustig machen.
Durch Mitmenschen ins Abseits geschoben werden, wird vor allem dann sehr schmerzlich empfunden, wenn es infolge einer guten Tat geschieht, für die man eher Lob und Anerkennung verdient hätte.
* Wie viele Schüler z.B., die einem Außenseiter in ihrer Klasse beistanden, haben das Gegenteil von Anerkennung erfahren?
* Wie viele Erwachsene, die sich gegen Vorurteile, ungerechte Behandlung anderer oder deren Ehrabschneidung wandten, gerieten dadurch selbst in die Tretmühle?
* Wie viele Gutmütige werden schamlos ausgenutzt und obendrein als Trottel hingestellt?
RISIKO
Menschen, die für ihre guten Taten kein Lob und keine Anerkennung erhalten, möchte Markus zur Seite stehen. Ja er möchte sogar dafür werben, dass wir im Blick auf Jesus den Mut aufbringen und es riskieren, selbst zu denen zu gehören, die den Weg der Liebe gehen, uns auf die Seite der Verkannten zu stellen – unabhängig davon, ob wir Anerkennung finden oder nicht.
Jesus sind Menschen so wertvoll, dass er das Sichtbar- und Spürbar-machen seines Erbarmens höher stellt als die Sicherheitsmaßnahmen vor körperlicher Ansteckung. Denn er hätte den Aussätzigen ja auch in einem größeren Abstand zu ihm heilen können. Nein, Jesus geht in seiner Liebe so weit, dass er den Aussätzigen anfasst. „Ganz nah bin ich dir“, will er dem Aussätzigen damit sagen.
Wir selbst tun gut daran, medizinische Vorschriften einzuhalten; aber lernen sollen wir von Jesus, dass wir als Christen gerade den Ausgesetzten und Abgeschobenen Aufmerksamkeit schenken sollen. Dabei ungewohnte Wege zu gehen, die vom allgemeinen Verhalten abweichen, würde Jesus immer gutheißen und loben.
ISOLIERUNG AUFBRECHEN
Für diese Haltung und innere Einstellung möchte Markus uns gewinnen. Er ist Realist genug, um zu wissen, dass er uns die gebührende Anerkennung für ein Gutsein nicht erzwingen kann von denen, die uns ihre Anerkennung verweigern. Um uns für diese Situationen Trost zu schenken, berichtet er uns, wie es Jesus ergangen ist, der für seine gute Tat ins Abseits und ins Ausgesetztsein kommt.
Beachten wir: Jesus wird nicht offiziell unter großem Jubel von der Allgemeinheit in die Gemeinschaft zurückgeholt. Es sind einzelne, die nach und nach von überall her zu ihm kommen und ihn in die Gemeinschaft zurückholen.
Markus ist überzeugt, dass Gott niemanden an einem einsamen Ort verkommen lässt, an den jemand infolge seiner guten Taten geraten ist. Mag die Öffentlichkeit die ungerechtfertigte Ächtung auch nicht aufheben, so wird Gott zur rechten Zeit die Isolierung aufbrechen durch einzelne Menschen, die er den Betroffenen von irgendwoher über den Weg schickt.
Diese Überzeugung sollen wir uns zu Eigen machen, um im Blick auf Jesus Kraft zu schöpfen, aus Liebe zu den Menschen gegen den Strom zu schwimmen.
Ordensgeistlicher Matthias David