BRUNNENBEGEGNUNGEN

(Predigtgedanken zum 3. Fastensonntag Joh 4: 5 – 42)

AM BRUNNEN

„In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, sooft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schloss des Königs lag ein großer, dunkler Wald, und in dem Walde, unter einer alten Linde war ein Brunnen. Wenn nun der Tag recht heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Brunnen, und wenn es Langeweile hatte, so nahm es eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder; und das war sein liebstes Spielwerk…“
Ihnen kommt die Geschichte bekannt vor? Es ist die Geschichte vom Froschkönig. Sie lässt sich schnell erzählen, aber auch wunderschön ausmalen: eine goldene Kugel fällt in den Brunnen, das Kind ist untröstlich und ein Frosch erbarmt sich seiner. Aus der Tiefe des Brunnens wird die Kugel wieder ans Tageslicht geholt. Wir sehen das Kind davon eilen. Ohne weiter auf den Frosch zu achten, ohne auch das Versprechen einzulösen: Den Frosch als „Geselle und Spielkamerad“ mitzunehmen, gar Tisch und Bett mit ihm zu teilen.

Aufregend, wie die Geschichte weitergeht. Plitsch platsch, plitsch platsch. Dann steht der Frosch auf einmal vor der Tür. Dem Kind wird angst und bange. Aber der Vater, der König, besteht darauf, dass das gegebene Wort einzuhalten ist. Als der Frosch dann tatsächlich im Bett neben dem Mädchen schlafen will, wird er von ihr wütend an die Wand geworfen – und entpuppt sich als verhexter Königssohn. Jetzt ist er erlöst. Dieses Wort kommt tatsächlich vor: erlöst. Am Ende wird dann sogar noch der Diener wieder frei, der aus Kummer sein Herz in drei eiserne Bande gelegt hatte, damit es nicht zerspringt.
Im Märchen heißt es: Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche, aber es waren nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.

ERLÖSUNGEN

Wie komme ich jetzt nur auf diese Geschichte? Ich bin überrascht, aber auch entzückt. Diese Geschichte erzählt anmutig von Erlösungen. Das Mädchen wird erlöst, der Königssohn wird erlöst, der treue Heinrich wird erlöst.
In dieser Geschichte wird die Sehnsucht aufbewahrt, zurückzubekommen, was verloren gegangen ist. Es ist auch die Sehnsucht, dass ein Versprechen verlässlich ist, die Sehnsucht, einen Fluch zu überwinden.
Wir hören das Aufatmen. Die Beklemmung weicht.

Im Märchen kann ein Ball in den Brunnen fallen und wird von einem Frosch geholt.
Im Märchen kann ein garstiges Wesen an die Wand geklatscht werden und sich in einen Prinzen verwandeln.
Im Märchen können sich Ringe vom Herzen lösen und laut auf die Erde fallen.
Im Märchen…

BEGEGNUNG

Jetzt denke ich an die Frau, die auch an den Brunnen gegangen ist: Hier ist nichts verhext, eher alles verkorkst. Die Männergeschichten, die dunkel nach vorne kommen, stehen für verloren gegangene Illusionen, für verlorenes Leben. Auch für Schuld. Für Schuldverstrickungen. Für Moralisten taugt die Geschichte gleichwohl nicht. Moralisten machen es sich immer leicht. Aber leider immer nur sich selbst, nicht – anderen.

Was die Frau erlebt, vielleicht sogar erlitten hat, wird nicht einmal in Umrissen sichtbar. Aber wir sehen sie in einem Gespräch. In einem Gespräch mit dem Fremden. Was wir wissen, im Nachhinein sowieso, ist jetzt noch ganz offen. Welten treffen auf einander: Sie eine Frau aus Samaria – er, Jesus, ein Jude. Sie, eine Frau mit Geschichte – er ein Mensch, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht.

Getrennt, verfeindet sogar sind beide „Nachbarn“ seit Urzeiten. Die alten Geschichten werden einfach weitererzählt. Keiner weiß genau, wie und wann alles angefangen hat – nur: jede Seite pocht darauf, den richtigen Glauben zu haben, der Überlieferung treu ergeben zu sein und von Gott erwählt.

Aber spielt das eine Rolle? An diesem Brunnen? Wir treffen auf einen Menschen, der das lebendige Wasser sucht – nachdem Jesus von dem lebendigen Wasser gesprochen, sich selbst als das lebendige Wasser vorgestellt hat. Am Ende kommt heraus, dass der Fremde am Brunnen selbst die Fülle des Lebens verkörpert. Die Grenzen, sorgsam von Menschen gehütet, werden in diesem Gespräch durchlässig. Wir hören Jesus sagen:
„Wer von diesem Wasser (aus dem Brunnen) trinkt, wird wieder Durst bekommen;
wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“

LEBENDIGES WASSER

Wenn ich mir vorstelle, was lebendiges Wasser ist, fallen mir die schönen Bilder ein:
Sprudelnd, rein, glänzend. Ich denke an einen Bergbach, höre sein Glucksen, sehe das Licht der Sonne in ihm. Diese Bilder stehen auch für die Liebe, die einen Menschen umfängt und ihn selbst zu einer Quelle macht. Wenn Jesus von dem lebendigen Wasser spricht, wird der Durst gestillt. Der Durst nach Liebe, Vergebung – und nach Anerkennung. Es ist, als ob ich meinen Kopf, müde nach einer langen Wanderung, einfach nur in kühles Nass tauche.

Dabei ist an diesem Brunnen, der den Namen des alten Jakob trägt, nicht von fremden Mächten die Rede, weder von bösen Geistern noch von Elfen, aber von eigener Verantwortung und Schuld. Am Brunnen werden die Zungen gelöst. An diesem Brunnen wird Leben geschenkt. Übrigens: wenn schon von Jakob die Rede ist – die alten Geschichten erzählen, dass bevorzugt am Brunnen Liebesgeschichten begannen. Jakob hätte jetzt gut mitreden können!

Ich kenne die Frau nicht, die am Jakobsbrunnen mit Jesus zusammentrifft. Aber ich lausche dem Gespräch, das die beiden miteinander führen. Durchaus selbstbewusst und kritisch. Es ist auch eine Liebesgeschichte – ein bisschen anders.

LIEBE – EIN BISSCHEN ANDERS

Paulus hat der Gemeinde in Rom geschrieben, dass die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen. Wie oft ich das Wort schon überlesen habe: ausgegossen. Kein Rinnsal, kein Tröpflein – ein Schwall, der sich über uns, ja, in uns ergießt. Ausgegossen – das Wort deutet die Fülle an. Aber auch die Großzügigkeit. Hier schauen wir Gott ins Herz!

Oft denke ich klein von der Liebe. Sie erscheint mir zerbrechlich. Ich sehe sie oft auch zerbrechen. Aber wenn ich so rede, trocknet die Liebe aus. Buchstäblich. Manchmal fühle ich mich so.

Paulus führt uns auf eine andere Fährte.
„Durch ihn – Jesus – haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes.
Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist…
Gott hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“

Lassen wir die Worte auf der Zunge zergehen: Gnade erhalten – die Liebe Gottes ist ausgegossen – der Heilige Geist ist uns gegeben – seine Liebe ist uns erwiesen.
Ich schaue dann nicht auf das, was ich kann – oder auch nicht.
Ich schaue auf ihn. Seine Liebe ist ein unerschöpflicher Brunnen.

NEUE ZEIT

Im Märchen heißt es: In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat.
Im Evangelium wird Menschen eine neue Zeit nicht nur versprochen, sondern geschenkt.
Der Evangelist Johannes nimmt uns mit. An einen Brunnen. An den Jakobsbrunnen.
Wir werden zu Zeugen: Lebendiges Wasser gibt es wirklich.
Für Menschen, die ausgetrocknet, verbraucht, durstig sind.
Ich möchte nicht mehr, als diese Liebe mit anderen Menschen zu teilen.


Seneschall Matthias David