DER GRÖSSTE VON EUCH SOLL EUER DIENER SEIN

(Predigtgedanken zum 31. So. i. Jkr./22.So.n. Trinitatis, Mk 12:28b – 34)

EINE PREDIGT ÜBER LASTEN MAG ICH HEUTE NICHT HALTEN

Ich könnte heute eine Predigt halten über Lasten, die Menschen tragen müssen. Das würde eine lange Predigt werden. Über die Pharisäer von damals – und über die vielen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln auch in unserer Mitte. Aber es wäre ein schweres Unterfangen. Gerecht könnte ich auch nicht bleiben. Schließlich braucht sogar das kleine Glück liebevolle Grenzen – wenn es nicht verschwinden soll, und die Freiheit einen Schutz, wenn sie nicht verkommen soll. Nein, eine Predigt über Lasten mag ich heute nicht halten.

EIN LASTENTRÄGER, DER VON HINTEN KOMMT

Aber ich kenne jemanden, der nichts anderes tut, als Menschen Lasten abzunehmen. Er ist ein großer König, er nennt sich „Herr der Heere“ und sein Name ist, wie ich gehört habe, bei den Völkern gefürchtet. Gefürchtet? Ja, gefürchtet, weil er nicht zusieht, wie die selbsternannten Herren – von ihnen gibt es gar viele auf der Erde und manchmal auch in weiblicher Form – Menschen Lasten auferlegen und sie klein machen, gebückt und müde. Darf ich Ihnen diese Geschichte in Etappen erzählen?

Zum ersten Mal ist er aufgetaucht, als viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Nebukadnezar von Babylon hat mit Jerusalem kurzen Prozess gemacht. Mauer geschliffen, Tempel in Schutt und Asche gelegt, dem König die Augen ausgestochen. Die Menschen aber, wehrlos wie alle, die unter die Räder der großen Geschichte geraten, müssen ihre Heimat verlassen. Deportation nennt man das. Oder einfach nur Vertreibung. Gefangenschaft. Zukunft gibt es nur mit wunden Füßen, mit gebrochenem Kreuz, mit leerem Schädel – wenn überhaupt. Die Leichen müssen am Rand des Weges zurückgelassen werden, die, die nicht mehr können, auch. Es sei denn, man trägt sie huckepack. Nur: die Rücken sind schon beladen und werden von Meter zu Meter gebeugter. So muss es wohl in der Hölle sein. Und da kommt von hinten eine Gestalt, die keiner vorher gesehen hat. Er ist einfach nur da. Er redet auch nicht. Er nimmt die Last in seine Hände. Erst eine Last, dann Last um Last. Vorgestellt hat sich der Fremde auch später nicht. Er verschwindet einfach wieder. Aber wenn die jüdischen Gelehrten von ihm erzählen, leuchteten ihnen die Augen. Es muss wohl Gott selbst gewesen sein, der, von dem es kein Bild gibt – nur den unaussprechlichen Namen.

Können Sie verstehen, dass mich die Geschichte getragener Lasten fasziniert? Dann sehe ich Menschen vor mir, die aufrecht gehen. Die nicht gebrochen werden können. Denen der Mut nicht ausgeht. Ich höre den Propheten Maleachi sagen: Ein großer König bin ich, spricht der Herr der Heere, und mein Name ist bei den Völkern gefürchtet.

KOMMT ALLE HER ZU MIR

Wenn ich jetzt zähle- 1., 2., 3. – weiß ich, dass es nicht ganz korrekt ist. Wie viele Menschen wohl erfahren haben, dass ihnen Lasten abgenommen wurden? Aber ich erzähle ihnen einfach eine zweite Geschichte – ohne vollständig sein zu können. Es ist auch eine Geschichte von Menschen, denen eine große Last auferlegt wird. Vielleicht ist es genau dieser Blick, der sein muss: Lasten werden nicht einfach nur getragen, sie werden auferlegt. Sie sollen getragen werden. Sie müssen getragen werden.

Ich kenne jemanden, der nichts anderes tut, als Menschen Lasten abzunehmen. Er geht einfach zu den Menschen, die versagten, die sich versündigten, die schuldig gesprochen wurden. Manche sogar ohne Anklage, alle ohne Verteidiger. Die Frau am Jakobsbrunnen mit den vielen Männergeschichten, die Prostituierte, die ihn salbt, die Zöllner und Sünder, bei denen er einkehrt. Auf einmal trennen die Regeln, die heilen können, die eine gute Welt abstecken, nicht mehr. Menschen, stigmatisiert, ausgegrenzt und verloren, können wieder neu leben. Ich kenne jemanden, der nichts anderes tut, als Menschen Lasten abzunehmen. Er sagt: Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid – ich will euch erquicken.

Allzu leicht, allzu oft werden Menschen in ihrer Geschichte einfach nur eingemauert. Dann wärmt nicht einmal die Sonne. Kälte breitet sich aus. Es gibt nichts Kälteres als verweigerte Nähe, als abgesagte Gemeinschaft, als verschwiegene Distanz. Da taucht Jesus auf. Er zeigt uns seinen, er zeigt uns unseren Vater – und macht uns alle zu Brüdern und Schwestern.

EINE PREDIGT ÜBER ABGENOMMENE LASTEN WILL ICH HEUTE HALTEN

Brüder und Schwestern zu sein, zeichnet von Anfang an Kirche aus. Nicht, dass Brüder und Schwestern keine Konflikte, keine Spannungen, keine Langeweile kannten – aber es bleibt alles in der Familie, in der Familie Gottes. Es verändert sich auch alles in der Familie, in der Familie Gottes.

Was das Evangelium heute zu formulieren wagt, ist: Legt einander keine Lasten auf, schenkt euch die große und schöne Freiheit der Kinder Gottes. Dann werden Menschen, die mit ihrer Ehe und Liebe gescheitert sind, zu uns gehören – und auch all die anderen, die bei uns eine Heimat suchen. Ein Zuhause. Liebe. Nähe.

Darum muss ich von dem erzählen, der nichts anderes tut, als Menschen Lasten abzunehmen!
Es fällt wie Schuppen von den Augen: Legen wir anderen Menschen Lasten auf, bürden wir sie ihm auf – er lässt es sich nicht nehmen, sie zu tragen. So habe ich das eigentlich noch nie gesehen. Aber heute muss ich hinschauen. Es gibt so viele Lasten, die ein Mensch in seinem Leben nicht tragen, nicht aushalten kann… Auch nicht für das kleine Glück.

Ein großer König bin ich, spricht der Herr der Heere, und mein Name ist bei den Völkern gefürchtet.
Aber kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid: Ich will euch erquicken.

Seneschall Matthias David