(zum 30. Sonntag im Jahreskreis Mk 10:17 – 30)
BLIND, AM RAND…
Da sitzt einer, blind, am Rand, im Trubel, lässt sich nicht zum Schweigen bringen, schreit noch lauter, bis er schließlich erhört wird. Er steht auf, wirft den Mantel weg, läuft zu dem, von dem er Hilfe erhofft. Und dann wird er gefragt nach dem, was er will. Er spricht es aus, und dann ist alles anders. Vom Blinden zum Sehenden und von nun an ein Nachfolger von Jesus.
Eine vielschichtige Erzählung, das Bild des Blindseins, die Anrede des Bartimäus, der Jesus als Sohn Davids anspricht, sein Glaube, der letztendlich zählt. Ich aber möchte mir die Freiheit nehmen, heute vorwiegend Bartimäus zu betrachten. Was tut einer, der Hilfe braucht? Wie geht es dem? Wie schafft er es, dass es besser wird. Ich erlaube mir heute, die Geschichte zu lesen als ein Beispiel, wie Hilfe gelingen kann. Wie im Brennglas wird hier nämlich gezeigt, was es braucht, damit einer dem anderen helfen kann.
… LAUT UND LÄSTIG
Wie üblich beginnt es am Rande, abseits des Zentrums. Da kauert Bartimäus, blind. Wahrnehmen kann er nur mit den Ohren, der übliche Zugang zur Welt ist ihm verwehrt. Und Ohren hat er gute, notgedrungen. Er hört Jesus, er verbindet mit diesem Namen Hoffnung, da ist vielleicht einer, der mit ihm Erbarmen hat. Einer, der ihm ein Ansehen schenkt, einer, von dem er annimmt, dass der ihn anders sieht als die anderen. Und er wird laut, beginnt zu schreien. Das aber stört, fällt lästig, hält auf, hemmt den Schritt. Schweigen soll er, den Mund halten. Bartimäus fällt aus seiner Rolle. Still dasitzen, sein Leid erdulden, das wird von ihm erwartet. Aber das hilft ihm nicht weiter, das kennt er schon lang genug. Jetzt scheint er sich zu sagen, jetzt gilt es. Jetzt oder nie. Und die Umgebung Jesu schafft es nicht ihn zum Schweigen zu bringen. Alles Zischen und um Ruhe bitten nützt nichts. Bartimäus bleibt dran, er ist hartnäckig. Ein Segen ist es für ihn, gerade da nicht mitzuspielen mit den anderen. Widerstand überwinden, den äußeren und vielleicht auch den inneren, die Not herauszuschreien, nicht höflich und leise um Hilfe zu bitten, sondern aufzufallen, dazu braucht es den Mut der Verzweiflung.
Und Bartimäus hat Glück, Jesus hört ihn, er lässt ihn rufen. Da endlich erweist sich die Umgebung als hilfreich, Menschen ermutigen ihn aufzustehen. Bartimäus steht auf, er wirft den Mantel weg, macht sich auf zu Jesus. Den Mantel abwerfen, das Bergende, Schützende hinter sich lassen, vielleicht aber auch den über die Jahre entwickelten Schutzpanzer… Aufrecht sich hinstellen vor den, von dem er Hilfe erhofft. Derjenige aber, er scheint etwas Seltsames zu tun. Jesus sieht doch das Offensichtliche, ein Blinder, der da zu ihm hin gesprungen kommt. Es ist doch offensichtlich, was der braucht.
„WAS WILLST DU?“
Aber nein, Jesus stellt die Frage: Was soll ich dir tun? Gleichsam: was ich will, zählt jetzt nicht. Deine Sichtweise, dein Wille ist entscheidend. Du, der Du zu mir kommst, der Hilfe will, du bist gefragt, du musst es sagen, nicht ich oder irgendein anderer kann für Dich reden. Wir dürfen uns Bartimäus vorstellen als einen, der nicht oft um seinen Willen gefragt worden ist; man sieht doch, was so einer braucht. Aber nein, gerade darum geht es. Was willst Du? Das ist die Frage aller Fragen. Nur dann wird etwas wieder heil, dann gehen einem die Lichter auf, dann wird wieder jemand sehend. Wenn er, wenn sie gefragt worden ist nach seinem oder ihrem Willen.
So einfach wäre es, für alle zu antworten, denen es sichtlich an etwas mangelt. Aber sie selber müssen es sagen, sie selber wissen, was ihnen nottut, was für sie heilsam ist. Wie im Brennglas wird hier gezeigt, worum es geht. Nicht zwangsbeglücken, sondern fragen. Was Bartimäus schon zuvor alles gezeigt hat an Aktivität, an Engagement, das findet hier die Fortsetzung.
EIN NEUER BLICK
Keine einfache Frage, was ich will, wenn es mal über die üblichen alltäglichen Anlässe hinausgeht. Was will ich wirklich? In meinem Leben, meinen Beziehungen, meinem Glauben, meinen Nöten und Problemen? Keine einfache Frage für all diejenigen, die am Rand stehen, denen man das Wort oft genug abschneidet und wenn nicht, dann in scheinbarer Fürsorge schon die „richtige“ Antwort in den Mund legt. Aber fürwahr ein Glück, wenn man an Menschen gerät, die wirklich interessiert sind am Gegenüber, die nicht schon die Antwort haben, bevor sie überhaupt die Frage gehört haben. Ein Glück sind solche Menschen, die die Freiheit haben, zu fragen so wie Jesus. Sie eröffnen einem wie Bartimäus buchstäblich einen neuen Blick, ein Sehendwerden.
Kurzer Blick am Ende in unsere heutige soziale Arbeit in der Caritas: genau darum geht es, Menschen, die sich die Freiheit nehmen, laut zu werden, störend zu werden in ihrer Not, anzusehen. Ihnen mit Respekt und Achtung zu begegnen, ja selbst wenn sie lästig fallen. Ihnen die Frage nach ihrem Willen zu stellen. Das geht wohl nicht so schnell wie im heutigen Evangelium – dort wird es verdichtet geschildert, oft braucht das Jahre, ein Einüben auf beiden Seiten, und ein geduldiges Dranbleiben. Aber dann wird immer wieder auch Heilsames geschehen, wenn Menschen einander begegnen auf Augenhöhe. Tagtäglich wiederholen sich diese Geschichten, mal sind wir einander Bartimäus, und dann und wann auch Jesus. Jeder Tag eine Gelegenheit für ein Wunder zwischen uns.
Fünf Freiheiten
Sehen und hören, was da ist,
anstatt was sein sollte,
war oder sein wird.
Sagen, was ich denke,
anstatt was man denken sollte.
Fühlen, was ich fühle,
anstatt was man fühlen sollte.
Verlangen, was ich will,
anstatt immer auf Erlaubnis zu warten.
Im eigenen Interesse Risiken auf mich nehmen,
anstatt auf Sicherheit bedacht zu sein,
um nur ja keine Unruhe zu verursachen.
Ordensgeistlicher Matthias David