(26. Sonntag im Jahreskreis, Mk 9, 38-48)
DAS GEHT ZU WEIT
Das geht zu weit, dass so ein Typ Dämonen austreibt, und dann auch noch in Jesu Namen. Die Jünger sind entsetzt – oder vielleicht nur aufgeregt? Womöglich besorgt?
Entsetzt könnten sie sein, weil ein Fremder sich mit einem fremden Namen schmückt und Jesus in die Quere kommt. Sozusagen in ihrem Teich fischt. Da wollen sie lieber unter sich bleiben. Es ist doch ihr Jesus.
Aber sie könnten auch richtig aufgeregt sind, weil der Name Jesu, kaum dass er ausgesprochen wird, sogar Dämonen bannt. Das wirkt wie eine Probe aufs Exempel, ein objektiver Beweis, sozusagen, über alle Zweifel erhaben. Jetzt sehen es endlich auch mal die anderen, sogar die Fremden.
Dass sie besorgt sein könnten, finde ich auch nicht an den Haaren herbeigezogen. Wie soll es denn weitergehen, wenn neben und über Jesus hinaus die größten Zeichen geschehen – und wir nicht einmal mehr informiert oder gefragt werden? Ach, ihr wisst schon: Patentschutz. Und wenn schon: Wir möchten die Lizenz vergeben.
Meister, wir haben gesehen. . . So fängt eine Geschichte an, in der die Jünger ebenso ratlos wie überfordert, vorsichtig wie berechnend da stehen. Ihr habt längst gemerkt, wie sehr ich mich schon auf ihre Seite schlage. Wenn ich Jesus für uns reserviere – dann ist die Welt doch in Ordnung. Nicht auszudenken, wenn andere mit ihm – womöglich – auch noch Geschäfte machen und Geld nehmen. – Wir müssen die Kirche doch im Dorf lassen!
VERSTECKTE GEGENMENSCHLICHE KRÄFTE
Mal abgesehen davon, dass von Geld nicht die Rede ist, von Geschäften und Geschäftemacherei schon mal gar nicht, begegnen wir in dieser Geschichte sehr unterschiedlichen Figuren und Akteuren. Obwohl nicht viel erzählt wird, entsteht in unseren Köpfen ein farbenprächtiges Durcheinander. Dass von Jesus die Rede ist, überrascht uns nicht, dass die Jünger vorkommen, haben wir nicht anders erwartet. Nur der unbekannte – freche – Wundertäter bekommt kein Gesicht – und mit ihm auch nicht der arme Mensch, dem eine so gute Erfahrung zuteil wurde. Dabei hätten gerade diese beiden so viel zu erzählen: der eine von der schrecklichen Erfahrung, besessen zu sein – der andere, ihm die Dämonen zu vertreiben.
Apropos Dämonen: In Filmen spielen böse Geister gelegentlich sogar die Hauptrollen, während die vielen faszinierten Zuschauer längst nicht mehr an sie glauben – zumindest sagen sie das von sich. In der Realität aber haben Dämonen ihre Züge nur versteckt, ihre Schachzüge auch: Alles, was Menschen gefangen nimmt, sie unfrei macht, sie besetzt – besessen macht – ist dämonisch. Dämonisch im Sinn von übermenschlich, treffender: gegenmenschlich. Ein Tor, wer jetzt sagt, das gäbe es nicht.
Angst ist dämonisch, Vorurteile sind dämonisch, Hass ist dämonisch. Ein Merkmal dämonischer Mächte ist, sich sogar erfolgreich rationaler Kontrolle zu entziehen. Sich hinter angeblich plausiblen Gründen zu verbergen. Sich zu tarnen wissen. Die Geschichten vieler Menschen – und Völker – könnten jetzt unter uns aufstehen. Als Zeugen! – Ich müsste weglaufen – wenn sie es denn täten.
GESCHICHTE EINER GROSSEN FREIHEIT
Dass unser Evangelium die Geschichte einer großen Freiheit ist, fällt sofort auf. Kurz und bündig: Dämonen müssen vertrieben werden. Dafür gibt Jesus seinen guten Namen her. Ohne groß zu fragen. Ohne Bedingungen zu stellen. Ohne Exklusivrechte geltend zu machen. Dämonen müssen vertrieben werden!
Unausgesprochen bekommen Menschen in dieser Geschichte dann die Hauptrolle, die der Evangelist – übergeht.
Ich denke jetzt an einen Menschen, der von einem bösen Geist besessen ist. Es ist mir zwar unbehaglich, so zu reden, aber ein besseres Wort als „besessen“ fällt mir auch nicht ein. Das Wort „besessen“ veranschaulicht geradezu die Macht, die Übermacht, die sogar körperlich ihre Spuren hinterlässt. In den Gesichtszügen, in den Fußbewegungen, in der ganzen Körperhaltung. Dabei weiß ich gar nicht mal, was alles vorgefallen ist – jedenfalls erzählt der ansonsten sehr schweigsame Mann von schlechten Erfahrungen, die er in seinem Leben gemacht hat – mit anderen Menschen. Jetzt lebt er zurückgezogen und verbittert in seiner kleinen Welt, ohne gutes Wort, ohne offene Tür. Wenn es uns gelingt, ein Gespräch in Gang zu bringen – was schwer genug ist, kommt eine so große Enttäuschung heraus, dass mir ganz kalt wird. Sind Dämonen ansteckend?
Es ist mir nicht gelungen, das Eis zu brechen. Ein anderes, fast noch schöneres Wort als „böse Geister“ vertreiben. Dass dann doch ein Wunder passierte, ist eine ganz eigene Geschichte. Einer Nachbarin, neu in dem Haus, gelang mit ihrer unbekümmerten und fröhlichen Art, das Vertrauen dieses Menschen zu gewinnen. Sie hat ihm etwas Gutes zu Essen gebracht, ihn zum Grillen hinterm Haus eingeladen – und ihn ihre Kinder hüten lassen. Die gingen dann irgendwann von selbst zu ihm – eine sonst verschlossene Tür ging auf einmal doch auf. Als Märchenerzähler, Mitspieler und Hausbär erobert er sich die Herzen der beiden Kinder. Ich weiß nicht, wer jetzt wen beschenkt, aber ich spüre einen Lufthauch: den guten Geist. Dass der ansteckend ist, macht den Dämonen sehr zu schaffen. Hat Jesus doch gesagt: Dämonen müssen vertrieben werden – und wenn es mit Kinderlachen ist.
FESTHALTEN – VERTREIBEN
Im landläufigen Sinn stellen wir uns Dämonen immer schrecklich vor. Wir geben ihnen Fratzen, Gebisse und Klauen. Die Menschen, die mit ihnen zu tun haben, sind nicht normal – und dann läuft auch schon ein Film ab, der kaum zu stoppen ist. Irr, verstört, durcheinander. Auch über sie legen wir Bilder: Fratzen, Gebisse und Klauen. Wir wissen, was normal ist – und was nicht. Mit diesem Wissen aber werden keine Dämonen vertrieben, sondern festgehalten, werden keine Menschen frei, sondern -verteufelt. Darf ich das so sagen? Die Dämonen nehmen uns mit auf ein Karussell – und lassen es immer schneller laufen.
Auffällig ist das schon: Bevor Dämonen ausgetrieben werden, werden sie auf einen Menschen gelegt, in einen Menschen verbannt, über einen Menschen ausgebreitet. Von alleine wagt sich kein Dämon an einen Menschen heran – sie werden gerufen. Womöglich herbeigesehnt. Man braucht sie. Mit ihnen ist alles so einfach zu erklären, vor allem, warum ein Mensch anders ist, ausgegrenzt wird und verdammt werden muss.
Dabei haben wir Menschen Fratzen, Gebisse und Klauen – nur frisiert, lackiert, kultiviert. Ein Glücksfall für die – bösen Geister.
DAS KANN GAR NICHT WEIT GENUG GEHEN
Meister, wir haben gesehen … So fängt eine Geschichte an, in der die Jünger – wie wir auch – ebenso ratlos wie überfordert, vorsichtig wie berechnend da stehen.
Es ist ein Glücksfall, auf die Menschen zu treffen, die der Evangelist hinter den Jüngern ein wenig versteckt hat: den besessenen, verlorenen Menschen – und den, der ihm in das Leben zurückgeholt hat. In Jesu Namen: es kann gar nicht weit genug gehen, als die Dämonen zu vertreiben. Das war immer schon sein Ding.
Er lässt sich nicht reservieren. Er lässt sich auch nicht schützen.
Er schenkt den Menschen die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.
Ordensgeistlicher Matthias David