(Predigtgedanken zum 23. So. i. Jkr. / 14. So. n. Trinitatis; Mt 18:15 – 20)
AM LEBEN VORBEI LEBEN
Dass unser Leben gelingt, wünschen wir uns. Solches Leben in Fülle will Gott für jeden Menschen. Und doch leben Menschen manchmal selber an diesem Ziel vorbei. Vielleicht fällt Ihnen ein nahe stehender Mensch ein, der an seinem Leben vorbei lebt… Mancher ruiniert seine Gesundheit durch seinen Lebensstil, z. B. durch Kiffen. Ein anderer arbeitet ohne Maß und vernachlässigt darüber seine Familie. Oder eine andere sorgt und kümmert sich mit aller Kraft um andere, bis zum Burnout. Jemand ist dabei eine weit reichende Entscheidung zu treffen und übersieht dabei manche Konsequenzen. Wieder eine andere gerät in Abhängigkeit von Menschen, die einen schlechten Einfluss auf sie haben, und gibt sich selber auf.
Wie reagieren Sie, wenn Sie so etwas wahrnehmen? … Vielleicht sagen Sie sich: „Das geht mich nichts an. Jeder ist selbst für sein Glück oder Unglück verantwortlich.“ Oder Ihnen wird weh ums Herz und Sie wollen irgendwie helfen – aber wie?
Wenn wir so einen Menschen ansprechen, können wir ganz unterschiedliche Erfahrungen machen: Wir stoßen auf taube Ohren. Oder unser gut gemeinter Rat wird vom anderen als besserwisserisch empfunden. Vielleicht aber bringe ich den anderen aber auch zum Nachdenken – durch ein treffendes Wort oder durch meine ehrliche Sorge, die er dahinter spürt. Durch einen solchen Anstoß kann er sich dann selbst auf die Suche machen nach seinem eigenen Weg zu erfüllterem Leben.
SCHRITTE, UM EINEN MENSCHEN ZURÜCK ZU GEWINNEN
Wie das gehen kann – jemanden, der am Sinn seines Lebens vorbei lebt, zurück zu gewinnen für das Leben – dazu zeigt das heutige Evangelium einen Weg auf.
Der erste Schritt ist: „zu dem Menschen gehen“, sich in seine Welt einzufühlen. Das bedeutet, genau hinzusehen und hinzuhören, den anderen und sein Leben wahrzunehmen ohne vorschnell zu bewerten.
„Unter vier Augen“ sollen wir das Gespräch suchen, um die Privatsphäre des anderen zu schützen. Dann erst dürfen wir den anderen hinweisen auf das, was unsere Sorge auslöst. Gelingt so ein gegenseitiges Aufeinander-Hören, dann kann der andere sich auf die Suche nach mehr Lebensqualität machen.
Manchmal ist noch ein zweiter Schritt notwendig: Wenn ich allein keinen Zugang zum anderen finde, ziehe ich ein oder zwei andere Menschen hinzu. Deren Einschätzung zu hören und mich mit ihnen zu beraten kann mir helfen, meine vielleicht zu enge Sicht zu korrigieren. Und bei einem zweiten Gespräch findet vielleicht ein anderer treffendere Worte oder den richtigen Ton. Mehr noch empfiehlt Jesus, im gemeinsamen Gebet um den anderen zu ringen: Eine solche Unterbrechung von Denken, von Grübeln und Machen-Wollen macht uns sensibler für die wahre Not des anderen und für Auswege da heraus.
Und noch eine dritte Chance sollen wir dem anderen geben. Und auch dann bleibt jeder Mensch frei an liebevollen Hinweisen „vorbeizuhören“. Manchmal aber wirkt ein Anstoß auch viel später oder ganz anders als wir es erwartet haben. Jedenfalls ist jetzt der Punkt, sich vom anderen zu „lösen“, uns nicht für etwas verantwortlich zu machen, auf das wir keinen Einfluss haben. Die Verantwortung für den anderen loszulassen, bedeutet, sie ihm selbst und Gott zu überlassen. Als Gläubige dürfen wir auf Gottes Führung und Nähe für jeden Menschen vertrauen. Ausdrücken können wir dies z. B. im Gebet oder im Anzünden einer Kerze für jemanden.
HILFREICHE UNTERBRECHUNGEN
Einen Menschen zurück zu gewinnen für das Leben – auf diesem Weg gibt es ganz konkrete Hilfen, nämlich „Unterbrechungen“: z. B. wenn ein Gespräch eskaliert, es später zu einem günstigeren Zeitpunkt neu suchen. Oder in Ruhe einen Brief zu formulieren und nach einer Pause noch mal überarbeiten. Und dann dürfen wir mit dem Abschicken eines Briefes oder dem Ende eines Gespräches auch die Verantwortung bewusst loslassen.
INNERE HALTUNGEN
Bei all dem, was wir für einen anderen tun, wie wir mit ihm sprechen, kommt es auf unsere Haltung dahinter an: Ausgangspunkt ist die Betroffenheit und die aufrichtige Sorge um das Wohl des andern. So wird er sich ernst genommen fühlen und spüren, dass es um sein Wohl geht.
Sich auf die eigenen Grenzen und Fehler zu besinnen hilft demütig und geschwisterlich im Umgang miteinander zu bleiben. Dazu gehört auch, die eigenen Vorstellungen im Gespräch mit anderen immer wieder zu überdenken.
Es braucht Geduld und langen Atem, um sich auf ein langes Ringen einzulassen. Aber Vorverurteilungen und unnötiges Auseinanderbrechen von Beziehungen können nur verhindert werden, wenn man dem anderen mehrmals eine neue Chance zu gibt.
Das eigene Gottvertrauen entlastet und schützt uns davor, uns zu überfordern. Das klingt jetzt vielleicht nach zu vielen und zu hohen Anforderungen an uns. Und dabei ist eigentlich ja nur eines notwendig: mit dem anderen ebenso liebevoll umzugehen wie wir es für uns selber wünschen.
Unsere Vorstellungen davon, was für einen anderen wirklich gut ist, sind sehr begrenzt. Wie gut, dass Gottes Wirken und Möglichkeiten soviel größer sind und so viel weiter reichen!
Seneschall Matthias David