“Dienen” – eine christliche Lebensregel

(Predigtgedanken zum 29. So. i. Jahreskreis / 21. So. n. Trinitatis, Mk 10:15-45, Jes 53:1-12, Hebr 4:14-16)

Das heutige Evangelium ist leicht zu verstehen, aber schwer einzuhalten und zu leben. Jesus versammelt seine Jünger um sich, um ihnen seine christliche Lebensordnung ans Herz zu legen. Sie, seine Jünger, sollen sich in ihrem Handeln grundlegend von den Gepflogenheiten der Welt unterscheiden. Nicht die Gier nach Macht, noch der Missbrauch von Einfluss soll sie beherrschen und antreiben, sondern das Dienen soll sie auszeichnen und ihr Handeln bestimmen.

Dieses Evangelium haben wir schon oft gehört, die Denkweise Jesu und seinen Aufruf an uns kennen wir. Und sicher haben wir uns auch schon viel Mühe gegeben, dieser Forderung Jesu nach zu kommen. Dennoch – so vermute ich – spüren wir in der Tiefe unseres Herzens auch öfters ein Unbehagen:

Einmal wahrscheinlich weil wir, wenn wir ehrlich mit uns umgehen, erkennen müssen, dass es auch Niederlagen bzw. Enttäuschungen in unserem Bemühen gegeben hat.

Aber auch das Zweite wäre nicht unnormal, dass uns Zweifel daran kommen, ob das “Dienen wie ein Sklave” immer der richtige Weg ist.

DIENEN UND SICH DENNOCH NICHT AUSNUTZEN LASSEN

Die Zweifel kommen uns vor allem dann, wenn wir das Gefühl haben, in unserer Gutmütigkeit ausgenutzt zu werden. Irgendwann kommt der Punkt, wo wir uns sagen: Halt! Stopp! So nicht! Das lasse ich nicht länger mit mir machen. Und ich glaube, unsere Reaktion ist richtig. Kinder z.B. können den Dienst ihrer Eltern gewaltig ausnützen. Schon um der Kinder willen, müssten sich Eltern hier zur Wehr setzen: Nicht wütend und lieblos, aber bestimmt und mit klarer Linie. Auch Ehepartner kommen in die Versuchung, den anderen auszunutzen, oder alternde Eltern gutmeinende Kinder, Geistliche, engagierte Gemeindemitglieder … Die Liste wäre noch endlos weiter zu führen.

Jesus hat diese Fälle, von denen ich sage, wir sollten uns wehren, nicht aufgegriffen und eigens behandelt. Dennoch glaube ich, dass wir ganz auf der Linie des Evangeliums und in der Sichtweise Jesu liegen, wenn wir sagen: Dienen muss dem Nächsten eine Hilfe sein, muss aufbauen und fördern. Wo unser Dienst hingegen dem anderen eher Schaden zufügt – z.B. Kinder maßlos, rücksichtslos oder ungezügelt werden lässt, die Bequemlichkeit des anderen unterstützt, seine Mitverantwortung mindert – kurz, wo eher etwas Negatives durch unseren Dienst gefördert und erreicht wird, dort sollten wir hellhörig und aufmerksam werden. Das kann nicht im Sinne Jesu sein.

DIENEN, NICHT NUR UM GELOBT ZU WERDEN

Noch eine zweite Form des Dienens, die mir zweifelhaft scheint, möchte ich benennen. Nicht immer, aber oftmals, wird Dienen durch ein Lob anerkannt. Wo dies aufrichtig und dankbar geschieht, ist es in Ordnung. Ja es müsste wahrscheinlich noch viel mehr und öfter geschehen, als es in der Praxis geübt wird.

Aber Lob ist auch verführerisch. Einmal kann es Menschen dazu verleiten, nur noch dann zu dienen, wenn sichergestellt ist, dass am Ende Lobeshymnen gesungen werden. Zum anderen kann Lob  missbraucht werden, um sich Menschen dienstbar zu machen. Ich lobe und schmeichle geschickt und so lange, bis der andere innerlich schmilzt und fügsam wird.

Hier würde uns Jesus wahrscheinlich eindringlich sagen: Achte auf dich! Mache dein Dienen auf keinen Fall abhängig vom Lob, sonst gleichst du eher denen, die ihren Lohn mit dem Lob bereits empfangen haben. Entscheide, wo du gebraucht wirst und wo du eher entbehrlich bist, wo deine Hilfe dringlich, eher überflüssig oder sehr notwendig ist. Beobachte, urteile, handle. Lass dich dabei leiten von der Liebe und Bereitschaft zur Hingabe, aber ebenso von der Wachsamkeit, im Handeln nicht bestimmt zu werden von Schmeichelei oder dem Heischen nach Lob. Mach dich davon frei und dann setze deine Talente und Fähigkeiten ein zum Wohle der anderen und des Ganzen. Dann dienst du dem Reich Gottes, dann nimmst du teil an meinem Dienst.

DIENEN OHNE GEGENLEISTUNG

Vielleicht sollten wir noch ein drittes Feld benennen, wo unser Dienen aufs Glatteis kommen kann. Es fällt uns wahrscheinlich wesentlich leichter, denen zu dienen, die es “verdient” haben, wie wir so schön sagen. Natürlich ist es in Ordnung, wenn wir aus Dankbarkeit oder Achtung diesen Menschen gegenüber wesentlich spontaner, lockerer und leichter zu Diensten ihnen gegenüber bereit sind als gegenüber anderen. Dienen darf aus Anerkennung und Dankbarkeit erwachsen. Dienen darf Freude machen und leicht fallen. Es ist darum nicht weniger wertvoll als Dienen unter Mühe.

Aber wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch vor Augen führen, wie schnell wir in eine Schieflage rutschen können, wenn wir uns angewöhnen, vorrangig oder grundsätzlich nur denen zu Diensten zu stehen, die es in unseren Augen verdient haben. Denn wie Gott seine Sonne aufgehen lässt über Guten und Sündern, so soll unser Dienen nicht nur denen zu Gute kommen, die sich bewähren konnten und bewährt haben.

Machen wir uns bewusst, was unterschwellig mit uns geschieht, wenn wir die Beurteilung von Menschen aus unserer Sicht vornehmen. Wir erheben uns damit leicht zu Richtern. Denn wer will beurteilen, warum der einzelne in seine Fehler, Schwächen oder in ein Versagen rutschte? Würde in den meisten Fällen einem Menschen in seiner Schwäche oder Schuld nicht gerade unser Dienst eine große Hilfe und Stütze sein? Ich denke, dass Jesus besonders auch diese Menschen im Blick hatte, als er uns das Dienen ans Herz legte. Wie gut tut es, wie viel Kraft wird einem geschenkt, wenn gerade im Versagen nicht Verurteilung und Ablehnung auf einen herein prasseln, sondern Barmherzigkeit und offene Arme.

DIENEN, WIE JESUS GEDIENT HAT

Wenn wir auf unseren bisherigen Gedankengang zurück schauen, so bliebe als Ergebnis unserer Betrachtung zum Dienen wohl Folgendes zu sagen:

• Jesu Lebensordnung des Dienens wird jeder bejahen, dem am Menschsein etwas liegt. Beherrschen, Unterjochen, Menschen ausnützen, ist

unmenschlich und durch nichts zu rechtfertigen. Das bedarf wohl keiner langen Erörterung.

• Das Dienen, von Jesus selbst ein Leben lang praktiziert, ist in Wahrheit die beste Lebensweise und der sicherste Weg, um im Frieden miteinander

glücklich zusammen zu leben.

• Dienen, so haben wir gesehen, hat aber auch seine Grenzen, nämlich dort, wo es ausgenutzt wird und Menschen eher schaden als nützen würde.

• Auch jene Formen des Dienens tragen nicht den Stempel Jesu, wo es nur um das Heischen nach Ansehen, Ruhm oder Lob geht.

• Dienen, wie Jesus es versteht, erwächst aus der inneren Bereitschaft, am Glück des anderen mit bauen zu wollen. Nicht richten, sondern aufrichten.

Nicht ausklammern, sondern einbeziehen. Nicht werten, sondern fröhlich und weitherzig großzügig schenken. Diese Haltung zeichnet das Dienen im

Sinne Jesu aus.

Und dort, wo uns das Dienen schwer fällt, könnten uns die Besinnung und der Blick auf uns selbst – wie sehr wir immer wieder selbst Beschenkte sind, vor allem durch Gott – Kraftquelle werden. Die Besinnung darauf, wie sehr wir gewachsen sind durch das Gutsein der anderen, verleiht uns mit Sicherheit schwungvollen Antrieb, selbst fröhlich und beherzt zu dienen. Amen.

Seneschall Matthias David