ERSTE UND LETZTE

(Predigtgedanken zum 25. So. i. Jahreskreis / 17. So. n. Trinitatis: Mk 9:30 – 37, Weish 2:1 – 20, Jak 3:16 – 4:3)

Ich erinnere mich manchmal an eine Biologiestunde im letzten Jahr der Polytechnischen Oberschule, in der uns im Zeitraffer über das Wachstum der Pflanzen berichtet wurde. Man sah eine Gruppe von Mohnblumen die sich dem Sonnenlicht entgegenstreckten. Durch die Zeitraffung aber sah man, wie jede Blume die anderen auf die Seite zu drücken suchte mit einer solchen Gewalt und Rücksichtslosigkeit, dass ich geradezu schockiert war. Dieser schöne rote Mohn, der sich beim einfachen Betrachten so sanft im Winde zu wiegen scheint, zeigte in dieser zeitverkürzten Filmaufnahme eine Wildheit und Ellbogenmentalität zum Erschrecken.

DER KAMPF UMS DASEIN

Aber das ist eben ein Gesetz der Evolution, die Konkurrenz, der Kampf um den besseren Platz, möglichst um den ersten Platz. Nur so haben sich die Millionen an Tier- und Pflanzenarten entwickeln können. Darum ist es kein Wunder, dass unter den Menschen das gleiche Gesetz herrscht. Überall, ob in Politik und Wirtschaft, ob am Arbeitsplatz ob im Klassenzimmer, oft sogar in den Familien herrscht das Gerangel um die „ersten Plätze“. Konkurrenz gilt geradezu als wesentliche Triebkraft des Wirtschaftslebens. „Konkurrenz belebt das Geschäft,“ kann man oft genug hören und lesen.

Goethe hat dies in die schönen aber bedenklichen Verse gefasst:

Geh! gehorche meinen Winken,
Nutze deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein:

Du musst steigen oder sinken,
Du musst herrschen und gewinnen
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboss oder Hammer sein.

Ja, das ist es: „Amboss oder Hammer sein“. Amboss, der geschlagen wird oder Hammer, der schlägt. Wer möchte nicht der Hammer sein, d.h. der, der anzuschaffen hat, der zu befehlen hat, der Obere, der Erste. „Wo es aber Erste gibt, muss es zwangsläufig auch Zweite, Dritte… und Letzte geben. Aufstieg geschieht fast immer auf Kosten anderer. Man muss die anderen verdrängen, um selber hochzukommen. Ein großer Teil der Konflikte unter Menschen rührt aus diesem ewigen Kampf um Ansehen, Erfolg, Macht, Einfluss, Geltung und Autorität.“

KONKURRENZKAMPF BEI DEN JÜNGERN JESU

Auch unter den Jüngern Jesu gab es diesen Geist der Konkurrenz, wie wir im heutigen Evangelium gehört haben: „Sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei. In seiner Antwort scheint Jesus den üblichen Umgang unter Menschen völlig auf den Kopf zu stellen: “ Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“! Das Dienen ist seine neue Lebensordnung. Nach dieser „Spielregel “ geht es im Reich Gottes zu. Nur wer sich klein macht wie ein Kind, nur wer „Demut“, das heißt den „Mut zum Dienen“, aufbringt, passt dort hinein.“

ES GEHT NICHT OHNE ERSTE

Will denn Jesus die Gesetze der Schöpfung auf den Kopf stellen? Ist sein Anspruch nicht fern jeglicher Realität, eine Vorstellung, nach der niemand leben kann ohne zu Grunde zu gehen? Aber sehen wir uns die Worte Jesu genauer an. Was er sagt bedeutet zweierlei: Einmal sagt Jesus nicht: »Unter euch darf es keinen Ersten geben.« Jesus stimmt durchaus den Gegebenheiten unserer Welt zu, dass es Über- und Unterordnung geben muss, Befehlende und Gehorchende. Es gibt eben wichtigere und weniger wichtige Aufgaben, geschicktere und weniger geschickte Leute. Es gibt einen Mozart oder einen Goethe, aber viele andere Komponisten bzw. Dichter, die daneben wie Zwerge erscheinen. Die Menschen sind zwar in ihrer Würde  gleich, aber nicht in ihren Fähigkeiten, Leistungen, und Begabungen. So hat Jesus ja auch unter den vielen Jüngern zwölf als Apostel ausgewählt, also Erste, und unter diesen wieder den Petrus zum Allerersten bestimmt.

DER ERSTE IN DER VERANTWORTUNG

Daneben stellt aber nun Jesus das entscheidend Andere: Wenn einer schon ein Erster ist, oben steht, befiehlt, dann soll er sich nicht als „Herr“ aufspielen, dem die anderen unterwürfig zu dienen haben, als Herr, der denen besonders gewogen ist, die sich am tiefsten vor ihm verneigen. Nein, er muss der erste Diener sein, er soll zuerst Verantwortung über-nehmen, er muss sich als erster den Schwierigkeiten stellen. Christus selbst hat das beste Beispiel gegeben. Er hat nicht die Jünger ans Kreuz geschickt, sondern er ist zuerst den Kreuzweg gegangen.

WO SIND WIR ERSTE?

„Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Das ist nicht nur ein Wort für den Dienst am Evangelium, sondern auch für den weltlichen Bereich. Fast jeder von uns ist irgendwo ein Erster oder wird es einmal werden, einer, der zu befehlen hat: Schon in der Schule gibt es Erste unter den Schulkameraden, danach in der »Clique«, dann in der Familie, im Beruf, in einem Verein, der Gemeinde usw. Wer etwas zu sagen hat, soll sich aber nicht groß vorkommen und protzig tun, sondern muss sich klar sein, dass seine Aufgabe ein Dienst an den Untergebenen ist.

DIE „CONDITIO HUMANA“

Das ist nicht nur eine christliche Direktive, sondern das ganz Besondere des Menschen, womit er sich von der Natur unterscheidet. Die Mohnblumen, von denen am Anfang die Rede war, haben keine Ahnung, dass es neben ihnen noch andere Mohnblumen gibt, dass sie andere Blumen verdrängen. Sie müssen sich, ob sie wollen oder nicht, den Licht- und Wärmesensoren an ihrem Halm unterwerfen, die bestimmen, wohin sie ihre Blüten zu wenden haben. Beim Menschen ist es entscheidend anders. Für ihn gelten nicht einfach die blinden Gesetze der Natur, nicht das Recht des Stärkeren, sondern es gilt das Gesetz der Freiheit, die Fähigkeit der Einsicht, die ihn lehrt das Gute zu erwählen und das Böse zu verwerfen.

DIE SAAT DER GERECHTIGKEIT

Und dies ist zugleich ein Kriterium dafür, was ein Mensch charakterlich wert ist: Wie er mit denen umgeht, denen er befehlen kann. Wer dienen will als Erster im Sinne Christi, wird sich genau überlegen, wie viel Gehorsam und Last er Untergebenen und Abhängigen zumuten kann und welche Befehle unzumutbar sind.

Dadurch kommt der Friede auf der Welt zustande: Nicht, indem wir bestehende Ordnungen abschaffen, sondern dadurch, dass wir sie mit christlichem Geist erfüllen und damit vom Unrecht heilen. Es gilt das Wort der heutigen Lesung: „Wo Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. Doch die Weisheit von oben ist erstens heilig, friedlich, freundlich voll Erbarmen, sie ist unparteiisch und heuchelt nicht. Wo Frieden herrscht, wird von Gott für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut.“

Seneschall MAtthias David