ES LIEGT WAS IN DER LUFT

(Predigtgedanken zum 2. Advent – Mt 3,1 – 12)

Es liegt was in der Luft: Ein Asket predigt in der Einöde – und die Menschen eilen zu ihm. Was sie wohl bewegt? Kein Zweifel: Sie wollen ihn hören. Scheinbar hat es die Runde gemacht in Dörfern und Städten: Ihr müsst zu ihm gehen! Verliert auch keine Zeit! – Ein Event? Ein Erlebnis? Nichts von beidem – oder nur am Rande. Es ist die Botschaft, die Beine und Herzen in Bewegung bringt. Die Botschaft ist einfach, fast schon genial, dabei spannungsgeladen: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!

Mich fasziniert diese Szene. Menschen wollen umkehren. Sie suchen jemanden, er ihnen dabei hilft. Sie sind auch bereit, sich etwas sagen zu lassen. Eine tolle Erfahrung! Ob ich mich ihnen anschließen möchte? Gleich heute?


ERINNERUNGEN
Eigentlich wüsste ich gerne mehr von den Menschen, die sich damals auf den Weg gemacht haben. Was trieb sie um? Was bedrückte sie? Waren sie schuldig geworden? In eine Sackgasse geraten? Meine Neugier befriedigt der Evangelist nicht. Nicht einmal ein Gesicht lugt aus der Geschichte heraus. Dafür hat Matthäus eine ganz andere Geschichte in Szene gesetzt. Wer sie kennen wollte, kannte sie – eine Geschichte aus Babylon. Sie ist zwar lange zurück, aber dennoch lebendig wie eh und je. Darf ich sie kurz erzählen?

Das Volk Israel war nach Babylon deportiert worden. Vorher war die Stadtmauer geschleift worden, der Tempel geschändet, dem König die Augen ausgestochen. Inzwischen gingen die Jahre ins Land. Auch in der ungeliebten Fremde gehen Jahre ins Land. Irgendwann ist selbst die kleinste Hoffnung aufgerieben. Für die Menschen war das besonders schlimm, weil Gott, ihr Gott, sie scheinbar fallengelassen hatte. Der Vertrauensverlust wog schwer. Unheilvoll und dunkel lag die Zukunft vor ihnen. Einer in ihrer Mitte ist Jesaja, ein Prophet. Er hat das Unheil kommen sehen, weiß jetzt aber einen Weg:

Tröstet, tröstet mein Volk, / spricht euer Gott.
Redet Jerusalem zu Herzen / und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, / dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten / von der Hand des Herrn / für all ihre Sünden.
Eine Stimme ruft: / Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße / für unseren Gott!
Jedes Tal soll sich heben, / jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, / und was hüglig ist, werde eben.
Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, / alle Sterblichen werden sie sehen. / Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen.


Ein neuer Weg. Er soll gebahnt werden. Für Gott. Mit ihm beginnt eine neue Zeit. Seht ihr ihn kommen? Und ich sehe die Menschen mit offenen Ohren und Augen. Es wird auch für sie alles neu, darf ich sagen: gut? Sie werden aus der Vergangenheit heraustreten, nicht länger Gefangene ihrer Erinnerungen sein, Zukunft haben. Was für eine Vision: ein freier, schöner, ebener Weg. Für Füße, die schon genug Höhen und Tiefen durchschritten haben. Obwohl von Gottes Weg die Rede ist: ich werde meine Füße auf ihn setzen. Ich werde tief durchatmen. Ich werde sogar das Ziel sehen können. Unverstellt. Kein Tal dazwischen. Kein Berg.

UMKEHREN

Heute wird uns Johannes vorgestellt als Prediger in der Wüste. „Straßenbauer“ ist er – und Tröster. Ein Mensch, der Halt zu geben vermag, über den Tellerrand hinaussehen lässt, einen guten Weg ebnet. Das ist die alte und schöne Bedeutung von „Trost“. Das macht auch einen Propheten aus. Wir hören: Das Himmelreich ist nahe!
Der Weg dahin: Umkehr!

Als Kind habe ich mich immer gefragt, warum in der Adventszeit von „Umkehr“, von „Buße“ – ein anderes Wort dafür – die Rede ist. Ich stellte mir vor, wie das ist, zurückzugehen. Meine bescheidenen Versuche sind alle kläglich gescheitert. Ich merkte, nicht einmal das letzte Wort zurückholen zu können. Wenn es einmal draußen ist. Irgendwann wurde mir der Gedanke aber auch immer suspekter: Ich kann doch nicht immer nur rückwärts gehen, an einen alten Ausgangspunkt zurückkehren wollen. Womöglich alte Fehler noch einmal, wenn auch anders, machen. Ich gehe doch immer weiter, nach vorne, sozusagen. Was hinter mir liegt, gleicht einem Schatten. Ich nehme, schleppe ihn mit – hinter ihn entwischen kann ich nicht. Ist „Umkehr“ vielleicht nur ein Traum?

Jetzt freue ich mich, Johannes zu hören. Er sagt, dass das „Himmelreich“ nahe ist – also Gott, sein Reich, seine Zukunft. Jesus kommt in den Blick. Ich kann ihm entgegengehen, mich ihm öffnen, ihn aufnehmen. Ich kann neu anfangen. Also nicht einfach nur weitergehen. Ab heute muss nicht alles nur laufen oder funktionieren, ich nicht, die anderen auch nicht.

Eine neue Zeit bricht an. Sie ist ganz von der Liebe, von der Verheißung Gottes bestimmt. Menschen merken das, wenn sie einander vergeben können, wenn ihnen die Kraft zuwächst, alten Geschichten ein liebevolles Gesicht zu geben, wenn sie der Hoffnungslosigkeit ihre Hoffnung gegenüberstellen. Mutig und unbeirrt.
Das größte Geheimnis dieses Wortes „Umkehr“ ist, dass Gott sich zu uns – kehrt. Umkehrt. Das Wort gefällt mir immer besser. Ich sehe jetzt Jesus. Von ihm sagt Johannes: „Er, der nach mit kommt, ist stärker als ich … Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“. Dann gibt es kein Zurück mehr.

AUFBRÜCHE

Eine Aufbruchgeschichte also, die uns heute unverhofft zugemutet wird. Lange vor Johannes hat Jesaja für sich einen Lebensauftrag darin gesehen, Mut zu machen – und Vertrauen zu wecken. Wir sind in der glücklichen Lage, in seine Predigt hineinhören zu können:

Eine Stimme sagte: Verkünde! / Ich fragte: Was soll ich verkünden? Alles Sterbliche ist wie das Gras / und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, / wenn der Atem des Herrn darüber weht. /
Wahrhaftig, Gras ist das Volk.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, / doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.
Steig auf einen hohen Berg, / Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, / Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! /
Sag den Städten in Juda: / Seht, da ist euer Gott.

Seht, Gott der Herr, kommt mit Macht, / er herrscht mit starkem Arm. Seht, er bringt seinen Siegespreis mit: / Alle, die er gewonnen hat, gehen vor ihm her.
Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, / er sammelt sie mit starker Hand.
Die Lämmer trägt er auf dem Arm, / die Mutterschafe führt er behutsam.

Es liegt etwas in der Luft: Ein Asket predigt in der Einöde – und die Menschen eilen zu ihm. Was sie wohl bewegt? Kein Zweifel: Sie wollen ihn hören.
Mich fasziniert diese Szene. Ich möchte umkehren. Ich suche jemanden, der mir dabei hilft.
Kommt, lasst uns den Weg gemeinsam gehen!



Seneschall Matthias David