FARBE BEKENNEN

(Predigtgedanken zum 12. Sonntag im Jahreskreis Lk 9,18 – 24)

MEINUNGSUMFRAGE

Was die Menschen wohl heute sagen, wenn sie ihre Meinung zu Jesus äußern? Manches bekomme ich beiläufig mit. Wenn im Bekanntenkreis, unter Arbeitskollegen, auf dem Spielplatz das Thema Religion aufkommt. Die Diskussionen sind richtig spannend, manchmal erregt. Was auch sein darf. Für die einen ist er ein besonderer Mensch, ein besonders guter, andere sehen in ihm zwar einen großen Religionsstifter, verweisen aber darauf, in seinem Namen seien Kriege geführt worden. Also: ein ambivalentes Bild.

Professionelle Meinungsumfragen gibt es zwar auch, angeblich repräsentativ, aber bei ihnen fehlen die Gesichter, Stimmen, Gesten. Bei ihnen fehlen auch die Zwischentöne, die Erfahrungen, immer aber das Gegenüber. Das Zahlenmaterial ist längst zu einem Friedhof geworden. Lukas macht es richtig: Er erzählt von einem Gespräch.

IM GESPRÄCH

Jesus spricht mit seinen Jüngern. Es geht um die Frage, wer er ist. Die Meinungen der Leute werden zitiert – da werden die Jünger direkt gefragt: für wen haltet ihr mich. Genau genommen, geht es auch nur um die Jünger. Die anderen Menschen sind weit weg. Warum Jesus überhaupt eine solche Frage stellt?

Johannes der Täufer, Elija oder die alten Propheten waren damals sehr vertraut. Sie wurden von den Menschen ehrfurchts- und liebevoll genannt. Es sind Figuren, mit denen Gott im Leben seines Volkes unendlich viele und gute Spuren hinterlassen hat. Es sind gleichzeitig Projektionsflächen für die großen, noch nicht erledigten Hoffnungen. Die Leute können sich auch Jesus nur in diesem Raster vorstellen. Sie brauchen Beispiele und Muster, sie brauchen Wiederholungen. Schließlich lebt kein Mensch von Vergangenheit – jeder braucht Zukunft. Das erzählen die Jünger Jesus.

Und dann kommt die Frage, auf die alles zuläuft: Für wen haltet ihr mich. Petrus spricht das Bekenntnis aus, stellvertretend für alle Jünger: Du bist der Messias. Bei diesem Wort werden wir ein wenig verweilen dürfen. Es hat einen warmen Klang. Es drückt die große Sehnsucht aus, dass Gott selber kommt. Ein altes Bild ersteht in den Köpfen der Menschen: das Bild einer Salbung. Wenn schon Könige gesalbt wurden – dann erst recht der Eine, der zuletzt kommt. Der Gesalbte. Der Gesalbte Gottes. Wir sehen sozusagen in die himmlische Kathedrale, aus der er – wie ein Mensch auszieht, um ganz bei den Menschen zu sein.

Es lässt sich kaum beschreiben, noch weniger in Worten bannen, was mit dem Messias in die Welt kommt. Als das hebräische Wort ins Griechische übersetzt wurde, trafen wir auf einmal den – Christus. Was landläufig wie ein Nachname wirkt – Jesus Christus wie Ferdinand Suppengrün – ist in Wirklichkeit eine Würde, ein Titel, ein Versprechen. Was Petrus bekennt, kommt uns auch in den Worten vertraut vor: Du bist der Christus. DER Christus!

Dass das in dem Gespräch herauskommt – wer hätte das gedacht. Ich frage mich dann aber doch: woher weiß Petrus das?

EINSAMKEIT

Ich bin wohl viel zu schnell. Bevor es zu dem Gespräch kommt, werden wir wie die Jünger erst einmal in die Einsamkeit geführt. Die Menschen, die so viel von Jesus erwarten, sind weit weg. Lukas, der Evangelist, deutet auch nur an – man könnte die eine Zeile glatt überlesen. Sie steht am Anfang, sie steht vor allem, was folgt. Lukas formuliert es so „Jesus betete einmal in der Einsamkeit, und die Jünger waren bei ihm.“

In der geteilten Einsamkeit sehen die Jünger Jesus beten. Er ist mit seinem Vater allein. Er ist mit seinem Vater im Gebet eins. Nichts trennt sie von einander. Nur weil die Jünger das sehen – und dabei sein dürfen – kann das Bekenntnis Worte finden: Du bist der Messias, du bist der Christus. Hier wird nicht auf große Taten, große Reden, große Auseinandersetzungen zurückgeblickt – wer wissen möchte, wer Jesus ist, findet ihn in seinem Gebet. Findet ihn bei Gott. Für die Jünger ist das keine neue Erfahrung, aber schließlich gibt sie den Ausschlag. Für alles, was sie bei Jesus sehen, von ihm hören, mit ihm verbinden.

Schon bemerkenswert, wie Lukas mit feinen Pinselstrichen die ganze Szene malt.
In der Einsamkeit, in der gesammelten und geteilten Stille, wächst das Bekenntnis. Im Hören, das keine Worte braucht.

Überschauen wir die Jahrhunderte, begegnen wir den lauten Tönen, den aggressiven, den unerbittlichen. Aus dem Bekenntnis zu Christus wird ein Staatsakt. Der, der dient und sein Leben gibt, muss für Welteroberungsgelüste herhalten. Wahrheiten durchsetzen. Moral verschönern. Sein guter Namen wird mit Blut und Enttäuschungen besudelt. Man will ihn auch nicht mehr als Beter sehen, man macht ihn zum Pantokrator. Zum Allherrscher. Zum Spiegelbild der Mächtigen. Zum Zerrbild der Großen. Auf Kuppeln, in Apsiden und an Toren erheischt sein Anblick Respekt. Man soll sich vor ihm fürchten. Das ist gut für alle, die nichts mehr erklären wollen. Schlecht aber für die, die auch sonst nur klein gehalten und getreten werden. Nur irgendwann geht ein Raunen durch die Öffentlichkeit: Gott ist tot. Nicht einmal eine Träne wird ihm noch nachgeweint.

Ob Lukas geahnt hat, was passieren wird? Es ist gut, sich von ihm in die Einsamkeit führen zu lassen. Wer Jesus sehen will, kann ihn als Beter sehen – und ihn dann lieb gewinnen. Hier ist die Quelle. Zu ihr möchte ich immer wieder gehen.

SÖHNE UND TÖCHTER GOTTES

Als Paulus den verschwindend kleinen Gemeinden in Galatien einen Brief schrieb, hat er ihnen den Namen Christus auf eine unnachahmlich schöne Weise nahe gebracht: In Christus sind wir Söhne und Töchter Gottes – oder ganz einfach: wir sind Christen. Wir tragen auf einmal – im Glauben geschenkt, in der Taufe sichtbar geworden – eine Würde, einen Titel, eine Verheißung. Oder auch so: Christus bekennt sich zu uns. Das ist allerdings eine ganz unerwartete Wendung des Bekenntnisses. Unglaublich dazu.
Dass er sich zu mir bekennt – nie käme mir das in den Sinn. Wer bin ich denn, dass ich so geliebt bin?

Spätestens jetzt muss es heraus: Das Bekenntnis – ist kein Rechtsakt, kein Kürzel auf der Lohnsteuerkarte, kein Unterscheidungsmerkmal – es ist eine einzigartige Liebeserklärung. Und so schön, wie Liebeserklärungen sind. Seht ihr die Schmetterlinge im Bauch wachsen? Du bist Christus, sage ich. Du gehörst zu mir, sagt er.

FARBEN UND FAHNEN

Was die Menschen wohl heute sagen, wenn sie ihre Meinung zu Jesus äußern?
Ich schaue einfach mal nach draußen. An vielen Gebäuden und Autos hängen kleine und große Fahnen. Einträchtig zusammen. Mal deutsch, mal türkisch – usw. Die Menschen sollen sehen, wem die Partie gestanden wird – wem der Sieg gewünscht und zugetraut wird. Man glaubt an seine Nationalmannschaft. Man trägt ihre Farben. Es ist ein Bekenntnis. Ja, wohl auch eine Liebeserklärung…

Ich wünsche mir, dass wir auch als Christen Farbe bekennen. Und von einer großen Liebe erzählen. Von einer Sehnsucht. Von einem Sieg. Dann gibt es auch etwas zu Feiern.

Seneschall Matthias David