GAUDETE! FREUET EUCH! GOTT KOMMT MIT SEINEM WORT

(Predigtgedanken zum 3. Advent, Mt 11, 2-11; Jes 35, 1-10; Jak 5, 7-10)

Advent ist eine Zeit der Besinnung, der Umkehr und Erneuerung. Wenn Gott mit seinem Wort kommt, blüht alles auf. Diese Aussicht erfüllt Menschen mit Freude und motiviert, sich ihm zu öffnen.



STEPPEN UND WÜSTEN

Die Wüste jubelt? Die Steppe jauchzt? Was für gewaltige, großartige Bilder! Es ist von prächtigen Blüten die Rede! Eine schöner als die andere. Bilder des Lebens! Alles Vertrocknete, Versandete, Verkommene – lebt auf. Auch nicht einfach so: Gott kommt. Kommt er, sind Wüsten und Steppen nicht mehr wiederzuerkennen. Es ist, als ob die Welt noch einmal ganz von vorne anfängt. Anfangen kann. Mit Blüten, nicht mit Dornen! Mit üppigem Grün, nicht mit vertrockneten Wäldern! Mit Lachen, nicht mit verzerrten Mienen! Wir werden die Herrlichkeit des HERRN sehen, die Pracht unseres Gottes!

AUS DEM VOLLEN SCHÖPFEN

Heute, am 3. Advent, sollen wir aus dem Vollen schöpfen! Sie erinnern sich an die letzten beiden Adventssonntage? Sie waren ernst gestimmt. Wir wurden mit Weltuntergängen konfrontiert. Und zur Buße, zur Umkehr aufgerufen. Das Gefühl, auf einem zerbrechlichen Planeten zu hocken, beschleicht uns ohnehin. Manchmal fehlen uns dafür die Worte, manchmal machen wir uns auch einfach nur Mut. Aber die Erde wird verletzt, zugemüllt und überfordert. Von Tag zu Tag, von Generation zu Generation. Was sind Wüsten anderes als verwüstetes Land – so schön und bezaubernd Wüsten auch sind? Was sind Steppen anderes als verstepptes Land – so weit und reich auch die Steppen sind. Die Erde hat eine Geschichte. Hinter mancher Naturschönheit verbirgt sich eine Katastrophe. Eine vergangene. Die üppigen und opulenten Bilder dieses Sonntags erzählen von einem neuen Anfang. Heute, am 3. Advent, sollen wir aus dem Vollen schöpfen! Gaudete! Freuet euch!

HÄNDE UND KNIE

Wir können heute leider nicht so weit zurückgehen, um Jesaja live zu erleben. Er hat mit mutlosen und verzagten Leuten zu tun. Sie sind Opfer großer Geschichte geworden und ganz, ganz kleinlaut. Die markigen Worte der Propaganda – weggefegt. Die vielen falschen Hoffnungen – im Nu zerstoben. Die letzten Nachrichten – ein Desaster. Oder ganz einfach: die Hände sind schlaff, die Knie müde. Alles fällt uns aus der Hand. Das Gehen fällt schwer. Eine Qual. Wen Jesaja wohl vor Augen hat? Nicht nur Menschen, die am Ende sind – oder auch einfach nur noch alt aussehen -, auch Menschen, denen er etwas zutrauen kann! Hört selber:

Stärkt die schlaffen Hände
und festigt die wankenden Knie!

Sagt den Verzagten: Seid stark,
fürchtet euch nicht!
Seht, euer Gott!


Dass Gott etwas mit müden Händen und mutlosen Knie zu tun hat, ist schon eine eigenartige Entdeckung. Ganz nebenbei: wir feiern heute die Geburtsstunde der Seelsorge. Sie ist was für jeden Menschen! Nicht nur für Profis, Fachleute und Geistliche. Schlaffe Hände wissen viel zu erzählen, wankende Knie auch. Von dieser Müdigkeit, die sich auf die Glieder legt, wenn es keine Freude mehr gibt, kein Lachen, keine Hoffnung. Kennen Sie die Körperhaltung, die Körpersprache? Den Gesichtsausdruck? Die leeren Augen? Gaudete!

GROSSE ERWARTUNG

So! Ein wenig eingeübt – wenigstens eingestimmt – wollen wir Johannes besuchen, Johannes den Täufer. Ob wir ihn trösten können? Schade! Das Gefängnis ist geschlossen. Aber wir wissen, dass er hier ist. Johannes hat den Mund zu voll genommen und es mit dem Recht – oder besser Unrecht – des Königs zu tun bekommen. Kein schöner Ort! Nicht einmal für einen Asketen und Bußprediger, wie er einer war. Sie wissen, dass der Kopf des Johannes auf einem Silbertablett präsentiert wurde? Das ist zwar eine andere Geschichte, aber Johannes kannte schlaffe Hände und wankende Knie, ohne darüber ein Wort zu verlieren. Doch von der Frage ist er hin- und hergerissen, ob denn mit Jesus die neue Zeit angebrochen ist. Er schickt seine Leute zu ihm. „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Überhaupt: Kann Johannes noch auf etwas – oder jemanden – warten? Auf etwas, was nicht Tod ist?

Sind uns bei Jesaja verunsicherte, verstummte und müde Menschen begegnet, treffen wir hier auf eine große Erwartung. Gefängnis hin, Ketten her. Die Frage ist auch so einfach gestellt, dass eine Antwort fast schon in der Luft liegt. Von Zweifel keine Spur, eher die Sehnsucht, ein eindeutiges „Ja“ auch zu hören – oder zu sehen. Und die Antwort, die Jesus gibt, ist merkwürdigerweise ein großes, fast wörtliches Zitat. Ein Zitat aus der Predigt, die Jesaja tatsächlich vor Menschen gehalten hat, die mit dem Leben schon abgeschlossen haben. Was seht ihr?
Blinde sehen wieder und Lahme gehen;
Aussätzige werden rein und Taube hören;
Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet.


Das ist doch ein ganz anderer Blick! Nichts ist verloren! Nichts geht unter! Wenn Blinde sehen und Lahme gehen, wenn Aussätzige rein werden und Taube hören, ist es mit dem alten Schlendrian vorbei! Dass jetzt so manche Fragen auftauchen, verstehe ich, aber was haltet ihr, was halten Sie davon, wenn wir alles so wörtlich nehmen wie es gesagt ist?

EINE NEUE ZEIT, EINE NEUE WELT

Menschen gehen die Augen auf! Sie lassen sich nichts mehr vormachen. Sie spielen kein Versteck mehr. Sie sehen nicht mehr weg.
Und die Füße, die wie gelähmt waren, nehmen gleich zwei, drei Schritte auf einmal. Wir können doch nicht immer nur still stehen bleiben, nicht immer nur abwarten, nicht immer nur verkriechen. Auf einmal sind Wege da!
Die, die schon aussortiert waren – oder die sich aussortieren ließen – wie Aussätzige, nehmen ihren Platz im Leben ein. Im Leben der anderen! Eine große Unruhe macht sich breit. Die Grenzen funktionieren nicht mehr, die abgesteckten und mit Furcht eingehegten Lebensräume – auf einmal offen.
Und die, die bisher nicht nur nichts sehen, sondern auch nichts hören wollten, bekommen große Ohren. Ohren für die vielen Laute, für die vielen Klagen, für die vielen Geschichten. Auf einmal darf auch das Schweigen etwas sagen, die Verstummten erzählen, die Wortkargen Worte finden.
Und Jesus sagt nur: Seht!

Wie das alles ineinander läuft! Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören.
Die Krönung muss dann auch noch sein: Tote stehen auf! Armen wird das Evangelium verkündigt.
Ich kann es in den Händen spüren! In den Knien! Schlaff war gestern, mutig ist heute. Und alles, was sich so fromm anhört, weltfremd oder irgendwie abgehoben – wir spüren den neuen Atem auf unseren Gesichtern. Wer hat gesagt, dass die Welt so bleiben muss wie sie ist? Wie sie gemacht wird? Wie sie verhunzt wird? Mit den Mächtigen haben wir noch ein Wörtchen zu reden. Am besten: wir zitieren einfach Jesaja – und Jesus! Gaudete!

KUMMER UND SEUFZEN ENTFLIEHEN

Johannes wusste nicht, dass er der Vorläufer Jesu werden sollte. Er musste ins Gefängnis, um das zu entdecken! Nein, um das zu hören. Hier in der Öde, die nur nach Nacht riecht, wird es ihm zur Gewissheit. Ich bin vorangegangen! Als er zur Umkehr aufrief – damals am Jordan, damals, als auch Jesus sich von ihm taufen ließ – fing die Wüste um ihn herum zu blühen an und das trockene Land atmete auf.

Es ist eigentlich nur das Wort, das die Welt verwandelt. Es gleicht – und jetzt sind wir wieder ganz bei Jesaja – dem Regen, dem Schnee. Jesaja hat dazu sogar ein großes Gedicht geschrieben. Mit diesem tollen Satz, dass Gottes Wort nicht leer zurückkommt. Und die so angeblich seelenlose Natur liefert das Schauspiel immer noch: Auf einmal regen sich Pflanzen, Blüten und Tiere – wenn der Regen kommt. Wenn die Wüste zu sprudeln anfängt. Wenn die Steppe aufwacht. Dass die Wüste lebt, weiß die Natur schon lange. Eigentlich von Anfang an.

Gott kommt mit seinem Wort. Die Wüste jubelt! Die Steppe jauchzt! Was für gewaltige, großartige Bilder! Es ist von prächtigen Blüten die Rede! Eine schöner als die andere. Bilder des Lebens! Alles Vertrocknete, Versandete, Verkommene , alles Verbrauchte – lebt auf. Alles wird jung. Hände packen an und den Füßen ist kein Weg zu weit. Und das Seufzen hat aufgehört. Das Seufzen hat einem großen Staunen Platz gemacht:

Gaudete, gaudete! Christus est natus ex Maria virgine, gaudete!
Freut euch, freut euch! Christus ist von der Jungfrau Maria geboren, freut euch!

Amen.

Noch einen schönen 3. Advent!

Seneschall Matthias David