(Predigtgedanken zum 32. Sonntag im Jahreskreis Lk 20:27 – 38)
WIEDERSEHEN
In der Todesanzeige stand: Wir sehen uns wieder. Schon als wir zusammen die Beerdigung überlegten, sagte sie es immer wieder. Es war Trost, es war Halt, es war Trotz. Den letzten Triumph mochten wir dem Tod nicht lassen. Sie, weil sie fest darauf vertraute, ihren Mann wieder zu sehen, ich, weil mir der Sieg Christi über den Tod so wichtig ist. Trotz der großen Trauer war es ein schönes Gespräch. Immer wieder längeres Schweigen. Dann erzählte sie von ihrem Mann. Was sie gemeinsam noch alles machen wollten. Woran sein Herz hing. Was jetzt auf schreckliche Weise an ein Ende gekommen war. Ein Verkehrsunfall. Als die Polizei vor ihrer Wohnungstür stand und die schlimme Nachricht überbrachte, war ihr, als ob das Haus über sie einstürzen würde. Lachend hatten sie sich am Morgen noch verabschiedet. Jetzt konnte es nur noch in einer Todesanzeige stehen: Wir sehen uns wieder.
Ein Aufbäumen: so kann unsere Geschichte nicht enden! So kann unsere Liebe nicht enden!
DEN ENGELN GLEICH, ZU KINDERN GOTTES GEWORDEN
In dem Wort „Wiedersehen“ steckt eine Sehnsucht: dass ein vertrautes Leben weitergeht Aber wenn von der „anderen“ Welt die Rede ist – kann es dann eine Fortsetzungen unter alten Vorzeichen geben? Eine Geschichte eins zu eins? Wie schnell kommen wir doch an die Grenzen unseres Verstehens und auch unserer Wünsche.
Schauen wir auf unseren Alltag, geht das Leben weiter. Selbst nach einer großen Katastrophe. Wir entwickeln uns weiter. Wir finden uns auf neuen Wegen wieder. Wir suchen Alternativen. Die „Alten“ bleiben wir nicht. Wenn wir unser Leben dann beschließen, haben wir den einen Standort längst verlassen, an dem wir uns so gerne wieder gesehen hätten. Auch der Mensch, der in tiefer Trauer seine Sehnsucht formuliert, den anderen Menschen wiederzusehen, geht mit jedem Tag weiter fort. Ihm ist ein neues Leben zu wünschen. Vielleicht sogar eine neue Liebe. Ein neuer Anfang. Wenn dem Tod gelänge, jeden Lebensmut zu brechen, jede Hoffnung zu zerstören, jeden eigenen Weg zu überschatten – dann wäre sein Sieg perfekt. Er würde mitten im Leben das letzte Wort behalten.
Da ist Gott vor!
Wenn wir den Blick dann zu denen wenden, die gestorben oder – wie es gelegentlich heißt – vollendet sind, dann fängt Jesu Wort zu leuchten an: „Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind.“ Wir dürfen ergänzen: zu Töchtern Gottes geworden sind.
So sehen wir auch hier die Bewegung, die Verwandlung. Der Mensch, der stirbt, bleibt nicht, was er ist. Was sein Leben ausmacht, was fertig wurde, was unfertig blieb – nein: er wird den Engeln gleich. Der Mensch, der stirbt, bleibt nicht, was er war: bedeutend oder unbedeutend, geliebt oder ungeliebt – nein, er ist zu Tochter, zu Sohn Gottes geworden. Kein Mensch kann das von sich aus werden. Wir werden von Gott „für würdig“ gehalten. Allen Toden, Zweifeln und Anfechtungen dieser Welt zum Trotz. Es ist ein schönes Wort, eine große Verheißung: „für würdig“ befunden zu werden. Und das nur aus – Liebe. Behutsam kommt es mir über die Lippen, wird zu einem Gebet: ER mag mich „für würdig“ befinden!
SPIEGELBILDER
Langsam wird mir bewusst, was mir – in dem Trauergespräch habe ich nichts dazu gesagt – an dem Wort „Wiedersehen“ nicht gefällt: dass ein Augenblick, eine kleine Zeit, eine begrenzte Erinnerung festgehalten wird. Dass es keine Entwicklung mehr gibt, keine Bewegung. Dabei wächst das Leben – und wird aus dem Tod herausgeführt. Es ist eine unerwartete Wendung: Wir sehen Engel, wir sehen Töchter und Söhne Gottes. Das sind Bilder für die Auferstehung. Für das neue Leben. Für die neue Welt Gottes.
Im Evangelium ist von Sadduzäern die Rede, klugen, einflussreichen Leuten, die einmal die Elite stellten in Israel. Sie können mit der Auferstehung nichts anfangen, halten das alles auch für neumodisches Zeug. Als sie Jesus in ein Gespräch verwickeln, verraten sie, dass sie sich die neue Welt nur als Fortsetzung der alten vorstellen könnten. Wenn sieben Brüder, Männer – letztlich ist es egal – eine Frau haben: wem wird sie gehören? Der Himmel als Wiederkehr – eine furchtbare Vorstellung. Wer entscheidet dann, wer entscheidet sich für, wer gegen – einen? Dann sogar letztmalig und für immer! Die große Not, die Menschen schon zu Lebzeiten miteinander haben, überdauert dann den Tod. Dann gehörte der Himmel den Platzhirschen – und den Diven. Ich fürchte: Für mich wäre kein Platz … Ich möchte nicht mehr kämpfen … Ich kann nicht mehr.
Nein, nicht die Wiederholung des Alten, des ewig Gleichen! Jesus zeigt die Würde der Menschen in der Welt Gottes: Engeln gleich – durch die Auferstehung zu Töchtern und Söhnen Gottes geworden. Ich weiß: die Worte können nur andeuten, sie versuchen etwas zu fassen, das sich in Worten nicht fassen lässt. Aber sie verändern etwas bei und unter uns: Ich möchte Tochter, möchte Sohn Gottes sein! Da bekommt sogar die „alte“ Welt ein neues Outfit. Allen Unkenrufen zum Trotz: Menschen dürfen wieder hoffen!
GOTT VON LEBENDEN
Ich weiß nicht, wie der Lebensweg der Frau weitergegangen ist, von der ich vorhin erzählte. Die Todesanzeige trägt ein Datum, das die Anzeige der die Vergänglichkeit preisgibt. Inzwischen sind viele neue Anzeigen erschienen. Todesanzeigen. Hinter jedem Namen steht eine Geschichte, eine Erinnerung, ein Schmerz. Täglich.
Ich nehme mir heute vor, die Todesanzeigen als Lebensanzeigen zu lesen:
Weil Gott ein Gott von Lebenden ist, gehen für Menschen Wege weiter.
Weil Gott ein Gott von Lebenden ist, schenkt er Auferstehung.
Seneschall Matthias David