(Predigtgedanken zum 1. Fastensonntag Lk 4:1-13, Dtn 26:4-10, Röm 10:8-13)
ZARTE VERSUCHUNG
Die zarteste Versuchung ist ein Stück – Schokolade. Nein, nicht irgendein Stück – es muss schon die richtige Schokolade sein. Welche? Das darf ich nicht sagen.
Trotzdem gefällt es mir, zart versucht zu werden, wenn ich denn schon versucht werde. Schokolade ist ansonsten auch nicht gefährlich, weder für mich, noch für andere. Bis auf die Kalorien. Die sind aber versteckt und tun nicht weh. Schlimmstenfalls: ein Loch im Gürtel weiter.
Aber wenn wir schon einmal dabei sind: Es gibt Versuchungen, für die ein Loch im Gürtel nicht reicht. Die Spuren hinterlassen, die nicht mehr messbar sind. Die weh tun – und andere in Mitleidenschaft ziehen. Die die ganze Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, verletzen.
Ich denke an das Thema Missbrauch, an traumatische Begegnungen – und an die jungen Menschen, die zu Opfern gemacht wurden, ohne sich wehren zu können oder Gehör gefunden zu haben. Dass es diese Schuld auch anderswo gibt oder gegeben hat, tröstet nicht. Wir müssen von bitteren Versuchungen reden. Auch von der Versuchung, alles in Schweigen zu hüllen.
Die bitterste Versuchung ist, sein und das Leben anderer Menschen zu verspielen. Besonders traurig, weil selbst Nähe und Zuneigung in Untiefen führen können, die der Hölle sehr nahe sind.
SONNTAG „INVOKAVIT“
Ob ich eine solche Versuchungsgeschichte überhaupt ansprechen darf? Aber wenn nicht hier – wo sonst könnten wir, vor Gottes Angesicht, darüber reden? Der Sonntag heute heißt auch Invokavit. Nach dem Psalmvers: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören spricht der Herr; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“ (Ps 91,15)
Auf einmal sind wir dann in der Geschichte, die das Evangelium erzählt. Anders als bei uns: Jesus steht nicht am Anfang der Fastenzeit – den vierzig Tagen -, sondern hat sie hinter sich. Er hat die Wüstenzeit sogar bestanden. Mit Bravour. Ganz zum Schluss macht sich dann doch noch der Teufel an ihn heran. Vielleicht hält er ihn jetzt für „reif“? Sprich: Geschwächt, unaufmerksam, unvorsichtig?
Immer, wenn der Teufel ins Spiel kommt, wird eine Situation zum Probier-, zum Entscheidungsfeld. Weil es diese Felder gibt – und geben muss -, gibt es auch den Teufel. Nur an Pferdefüße, Schwefelgeruch und Hörnern sollte man besser nicht denken – eher an die vielen Stimmen, die sich in einem Herzen tummeln. „Warum machst du es dir jetzt so schwer?“ – „Die anderen machen es doch auch“ – „Lass dir doch nichts einreden“ – „Lauf doch nicht ständig deinem inneren Schweinehund hinterher“ – usw. usw.
So sehen wir den Teufel auch an – oder besser: in – Jesus arbeiten. Im Griechischen, der Sprache des Evangeliums, heißt der Teufel Diabolos, Verwirrer. Es ist sein Metier, alles durcheinander zu bringen. In unzähligen Gelegenheiten hat er seine Meisterschaft erworben, gar viele Goldmedaillen erworben – und internationale Preise eingeheimst. So hören wir die Stimmen aus Tiefen nach oben kommen: Du könntest doch Steine in Brot verwandeln – du könntest doch die ganze Welt besitzen – du könntest dich doch von Engeln tragen lassen. Von diesen drei Beispielen wissen wir. Es könnten noch mehr gewesen sein. Lukas erzählt die alte Geschichte mit ihren drei Variationen aber, weil diese Einreden bestens begründet waren, gar Vorbilder hatten: In der hebräischen Bibel, dem von uns so genannten Alten Testament. Kein Zweifel: Der Teufel kennt sich aus. Gut aus. Er ist sogar ein Schriftgelehrter.
Israel war zwar nicht vierzig Tage, aber immerhin vierzig Jahre in der Wüste. Wie die Menschen damals irrt Jesus durch eine karge und unwegsame Welt, die trotzdem nichts von ihrem Charme und Reiz verloren hat. Als das Volk Gottes unterwegs war, wurden zwar Steine nicht in Brot verwandelt, aber das Manna fiel ihnen gleichwohl vom Himmel. Und dass Gott seinen Engel befohlen hat, dich auf allen deinen Wegen zu behüten und dich gar auf Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt – das konnte jeder wissen. Auch der Teufel. Das steht im 91. Psalm.
Es ist genau dieser Psalm, der dem Sonntag heute seinen unaussprechlich schönen Namen gibt: Invokavit. Er ruft mich an …
WORT GEGEN WORT
Du könntest doch Steine in Brot verwandeln – du könntest doch die ganze Welt besitzen – du könntest dich doch in Tiefen stürzen. Drei Beispiele – für eine Machtprobe. Wer Steine in Brot verwandeln kann, wer die Welt sein eigen nennt, wer gar von Engeln aufgefangen wird – der ist ganz oben. Oder gefährlicher noch: Der ist kein Mensch mehr. Es gibt eine unstillbare Sehnsucht, mehr zu sein als ein Mensch – was auch einschließt, über alle anderen erhaben zu sein. Nicht so zu sein, wie die anderen. Das steckt letztlich sogar in jeder kleinen Versuchung. Ich möchte dann ein anderer sein, Dinge und Verhältnisse zu meinen Gunsten ändern, den vielen Beschränkungen entgehen.
Da der schriftgelehrte Verwirrer mit frommen Augenaufschlag und Unschuldsmine auf einmal da ist – kein Mensch weiß, wo er vorher war -, kann ihn Jesus nur mit seinen eigenen Waffen schlagen: mit der Schrift. Was Jesus auch zitiert – es trifft den Kern: Kein Mensch lebt vom Brot allein, sondern von Gottes Wort – Gott ist auch allein zu dienen, anzubeten und das letzte Wort zu lassen – und wer ihn herausfordert (der Evangelist spricht davon, ihn zu versuchen), bezahlt das mit dem Leben. Jetzt steht Wort gegen Wort – nein, ich muss mich sofort korrigieren: Gottes Wort trägt den Sieg über alle Versuche davon, sein Wort zu missbrauchen. Für Machtspiele, Allmachtsphantasien und Größenwahn. Dass es das alles gibt – wer wüsste das nicht?
Schon die ersten Menschen wollten sein wie Gott. Gut und Böse in ihrer Hand haben. Das Leben bestimmen. Wir sehen sie vor uns. Der eine Baum, mitten im Garten, ist so schön anzusehen – als sie sich an ihn heranmachen, verlieren sie das Paradies. Sie verlieren auch die Unschuld. Ihre erste Entdeckung ist: sie sind nackt. Was auch heißt: sie sind nur Menschen und können auch nichts anderes sein. Dass Gott ihre Blöße mit Feigenblättern zudeckt, ist die erste Barmherzigkeit, die ihnen widerfährt – noch bevor sie sich auf ihr eigenes Leben mit Entbehrungen, Mord und Totschlag einstellen müssen. Davon redet der Teufel nicht so gerne, versteckt sich lieber hinter frommen Wünschen. Meist bleibt er da auch unentdeckt. Inkognito.
ERLÖSENDES WORT
Es ist eine gute Gelegenheit, heute, am 1. Fastensonntag, am Sonntag Invokavit, von den Versuchungen zu sprechen, die uns umtreiben. Im Evangelium finden wir zudem den Mut, über Allmachtsphantasien zu reden, Missbrauch von Macht und Stellung wahrzunehmen und ein feines Gespür dafür zu entwickeln, wenn Menschen zur Ware gemacht werden. Wir geraten in ein Probier- und Entscheidungsfeld. Aus der Auseinandersetzung, die Jesus mit dem Teufel aufnimmt – und besteht -, erwächst uns die Aufgabe, ja, die Verheißung, als Menschen das Leben zu gewinnen. Dazu gehört, offen über Versuchungen zu reden, über eigene und fremde. Ungeschönt, nicht verharmlosend, aber auch nicht eingeschüchtert.
Im Hebräerbrief heißt es von Jesus:
„Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben“ (Hebr. 4,14-16).
Ich darf mich ganz und gar in Gottes Wort betten, zu ihm Zuflucht nehmen, mein Vertrauen auf ihn setzen – um seine Welt zu gewinnen. In ihr wird uns ein großer und gewichtiger Freiraum geschenkt, auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und zu gewähren. Es ist ein großes Geschenk, eine große Aufgabe, verantwortlich mit Versuchungen umzugehen. Es gibt ja nicht nur zarte. . . Der Diabolos, der Verwirrer, bekommt heute eins auf die Finger!
Seneschall Matthias David