BARMHERZIGKEIT
Die Seligpreisungen sind Ideale, hinter denen wir wohl alle ein gutes Stück zurückbleiben. Das sollte uns jedoch in keiner Weise entmutigen. Auch die Heiligen haben an sich erfahren, dass sie nicht vollkommene Menschen sind. Diese Erfahrung hat sie aber nicht resignieren lassen, sondern ermutigt, ihre Beziehung zu Gott und Jesus Christus enger zu gestalten und ihr Leben noch eindeutiger in die Gnade Gottes zu halten. So wurden sie liebenswerte und vor allem barmherzige Menschen.
Ich möchte Sie einladen, mit mir in diesem Sinne einmal der Barmherzigkeit etwas nachzugehen. Sie ist nach meinem Empfinden von allen Tugenden am ehesten nachahmbar, kann Wunden heilen und vieles erreichen.
Die Barm-Herzigkeit kommt aus dem Herzen. Wer mit den Augen des Herzens schaut, der entdeckt,
wo andere in Not sind, wo jemand Unterstützung und Hilfe bräuchte, weil ihm die Kräfte ausgegangen sind,
wo durch ein gutes Wort das Klima entgiftet werden kann,
wo Geduld und Liebe weiter helfen als Härte und Strenge.
Barmherzigkeit sagt nicht Ja zur Faulheit des anderen, aber entdeckt, dass der andere nicht die gleichen Kräfte hat wie ich und darum meine Hilfe bräuchte.
Barmherzigkeit verharmlost Schlechtes oder Böses nicht, aber hütet sich vor Verurteilung und Ablehnung für alle Zukunft.
Barmherzigkeit ist das Gespür dafür, dass Liebe wesentlich mehr vermag als alles andere.
Die Barmherzigkeit wird daher diesen Weg, den Weg der Liebe, immer als ersten einschlagen mit der Hoffnung, erfolgreich zu sein. Kraft schöpft die Barmherzigkeit vor allem aus der Erkenntnis, wie viel Güte und Barmherzigkeit Gott jedem von uns täglich und ein Leben lang schenkt. Dankbarkeit ist die große Quelle, aus der wir für unsere Barmherzigkeit Nahrung erhalten.
SONNE IM ALLTAG
Barmherzige Menschen sind Goldstücke. Sie bringen Sonne in den Alltag und in das Leben der Menschen.
Wie viele ältere Menschen können in ihrer Wohnung bleiben, weil barmherzige Nachbarn ihnen Besorgungen abnehmen oder sie mit dem Auto einmal zum Arzt fahren.
Und wie viel Gutes tun wir unseren Kindern an, wenn wir sie in die Sorge um andere – auch außerhalb der eigenen Familie – einbeziehen; sie lehren, füreinander Sorge zu tragen.
Heimbewohner leben auf, wenn alte Freunde oder Gemeindemitglieder zu Besuch kommen und ganz Alltägliches erzählen.
Die weitaus meisten Arbeitslosen sind nicht faul oder arbeitsscheu. Wie glücklich sind sie, wenn jemand mitdenkt und ihnen einen Tipp gibt, selbst wenn dieser nicht zum Erfolg führt.
Wie gut tut es Jugendlichen, wenn wir nicht kleinlich denken, über ihre noch schnoddrige Art auch einmal hinwegsehen und ihnen helfen, obwohl sie sich etwas zum eigenen Schaden selbst eingebrockt haben.
Ich möchte auch die Menschen nennen, die in Trauer geraten sind. Trauer macht oft hilflos. Schmerzen und Tränen der Seele trüben weithin die Sicht. Mit den Trauernden schweigen ist oft der beste Trost. Barmherzigkeit lässt uns für sie aktiv werden und ihnen zur Seite stehen, bis sie wieder ihr Gleichgewicht gefunden haben.
HEILIGE SIND MENSCHEN MIT HERZ
Barmherzige Menschen sind die Heiligen unserer Tage. Es sind Menschen wie Sie und ich. Menschen mit Fehlern und Schwächen, aber Menschen mit Herz. Aus den Erfahrungen mit ihren eigenen Unvollkommenheiten und der Barmherzigkeit Gottes sind sie bereit,
– zu helfen ohne Gegenleistung
– Trost zu spenden durch Nähe und Beistand,
– Sorgen zu teilen und mit zu tragen – mindestens im Gebet,
– nicht kleinlich zu denken, sondern großzügig.
Barmherzige Menschen schaffen ein Klima der Wärme. Sie bauen Reich Gottes, sind trotz ihrer Fehler und Schwächen Boten Jesu Christi, der von den Menschen seiner Zeit vor allem geliebt wurde, weil er stets und immer wieder barmherzig war.
Wer will uns hindern, Jesu Beispiel und dem Beispiel der Heiligen zu folgen, um zu den Heiligen unserer Tage zu gehören?
Ordensgeistlicher Matthias David