(Predigtgedanken z. 23. So. i. Jkr. / 12. So. n. Epiph., Lk 14:25-33, Weish 9:12-19, Phlm 9b-10, 12-17) Jesus ruft Menschen in seine Nachfolge. Er erwartet von ihnen aber, dass sie aus ihrem kleinen fein kalkulierten Leben heraustreten und ihr Vertrauen ganz auf Gott setzen.
RATLOSIGKEIT
Darf ich heute überhaupt die Predigt halten? Mit diesem Evangelium? Ich bin ratlos. Mir liegt daran, mit allen Familienmitgliedern gute, nein, sehr gute Beziehungen zu unterhalten. Überhaupt mit allen Menschen. Manchmal ist das gar nicht so leicht. Kleine und große Geschichten stellen sich jetzt ein. Reich bin ich zwar auch nicht, aber von dem trennen, was ich mir erarbeitet habe, kann ich mich auch nicht. Es gibt so viele Dinge, die einfach nur schön sind. Kleine und große Erinnerungen stellen sich ein. Ich hatte Glück, doch nichts fiel mir in den Schoß. Dankbar möchte ich sein, aber was Lukas sich heute leistet, geht mir über Kopf und Herz. Soll ich fanatisch werden? Dumm? Hat es in der Geschichte alles gegeben! Ich denke mit Entsetzen daran. Alles aufgeben, sich von allem lösen, alles zurücklassen? Lukas, was machst du nur? Was soll ich machen?
ÜBERRASCHUNG!
Und Lukas? Lukas erzählt einfach zwei kleine Geschichten, Geschichten von zwei Menschen, die etwas planen, im Schilde führen, kalkulieren – und gewarnt werden, sich zu verrechnen, sich zu übernehmen, ihr Gesicht zu verlieren. Machen wir einmal die Äuglein auf!
Das Haus und der Turm da nebenan werden nicht fertig! Als Ruinen stehen sie in der Landschaft. Irgendwann wächst Gras aus den Steinen. Was ist passiert? Das Geld reichte nicht. Ob denn auch Gras über die Sache wächst? Wir bangen mit!
Dann: Ein genialer Plan wird ausgeheckt, ein Überfall geplant. Natürlich diskret. Der Überraschungscoup muss gelingen! Aber wenn die Ressourcen nicht reichen? Es an Material, Leuten und Gelegenheiten fehlt? Dann überschätzt sich jemand, womöglich ideologisch verblendet. Die Geschichtsbücher sind unbarmherzig. In ihnen wird nichts verziehen!
Wo so viel gesunder Menschenverstand ist, dass alle „ist doch klar“ rufen, kann eigentlich nichts mehr schief laufen. Dass wir alles abwägen, behutsam in die Hand nehmen und nichts dem Zufall überlassen – das ist es! Wir fürchten den Spott, das Gerede, das verlorene Gesicht. Wir fürchten die Enttäuschung.
Lukas kann erzählen. Er ist ein Meister des Wortes und der Bilder. Siehst du, sagt er ganz beiläufig, ohne eine Miene zu verziehen, ich schreibe dir das Evangelium von dem fein kalkulierten Leben! Von der Kunst, von Anfang an alles auf ein Ziel auszurichten. Von dem Glück, unterwegs nicht steckenzubleiben. Und ich fange an, etwas zu ahnen.
NACHFOLGE
Ich ahne, dass es nicht so einfach ist, Jesus zu folgen, seinen Weg mitzugehen. Es muss wohl alles gut überlegt und geprüft sein. Sonst ist das Risiko, zu verlieren überaus groß, das Wagnis gar gefährlich. Was weiß ich eigentlich von Jesus? War er ein Heißsporn? Ein Draufgänger? Ein Wilder? Manchmal konnte, musste er sich vergessen! Er hat – so was erzählt der Evangelist sogar – seiner Mutter gesagt: Frau, was hab‘ ich mit dir zu schaffen!! Das klang nicht nur hart, das war umstürzlerisch: Wer Gottes Willen erfüllt, der ist mir Mutter, Bruder und Schwester. Verwandtschaftliche Beziehungen, Familie, gemeinsame Lebensgeschichten tragen ihn nicht mehr. Seine Liebe zu den Menschen ist zu groß, um in einer kleinem, engen, privaten Welt aufzugehen – oder unterzugehen.
Jesus ist seiner Sendung treu geblieben. Jesus hat Menschen aufgerichtet, nicht klein gemacht.
Jesus hat Menschen in seine Nachfolge gerufen, nicht abgeschreckt.
Er hat Gottes Reich in den schönsten Bildern ausgemalt, keine Angst geschürt.
Lukas erzählt in immer neuen Anläufen davon. Er begleitet Jesus sozusagen. Von seiner Kindheit bis zu seiner Kreuzigung.
Die kleine Maria stimmt ein großes Lied an, das Magnificat. Lukas hat sich in dieses Lied verliebt, so sehr verliebt, dass er sein ganzes Evangelium in Marias Worten gesungen hört. Dann eilen in der Nacht Hirten, einfache Leute, zur Krippe. Engel haben ihnen den Weg gewiesen. Schließlich sind es einfache Fischer vom See Genezareth, die alles stehen und liegen lassen, um die ersten Jünger Jesu zu werden. Die Armen und Verlorenen liegen ihm besonders am Herzen. Er geht ihnen nach. Er spricht für sie. Mit den Mächtigen redet er Tacheles. Mit den frommen Eliten geht er ins Gericht. Die Welt wird nicht so bleiben wie sie ist – oder verhunzt wird. Das sagt er, das weiß er. Alle Dinge bekommen ein neues Gewicht, alle Menschen ein neues Gesicht. Überhaupt: Lukas erzählt ständig, dass der Geist Gottes der Strippenzieher ist in den vielen Geschichten, in denen die Liebe das Laufen lernt, Berge erklimmt und Menschen glücklich macht.
KALKULATION
Jetzt merke ich, was aus einer Ahnung folgt! Ein Ziel, das größer ist als mein eingespielter Alltag. Ein Glück, das weiter reicht als meine familiären Beziehungen und beruflichen Erfolge. Mit seinem Evangelium vom fein kalkulierten Leben bringt uns Lukas dazu, größere Erwartungen, Träume und Hoffnungen abzuwägen – und zu wagen. Dann kann ein Wunder geschehen. Das Wunder, dass über allen Bindungen und Abhängigkeiten hinaus andere Menschen wichtig werden. Dass mein kleiner Horizont weit wird. Dass meine Selbstzufriedenheit aufbricht. Es reicht schon lange nicht mehr, das Glück hinter verschlossenen Türen einzuigeln oder vor anderen zu schützen. Großartig, befremdlich und mutig hört Lukas Jesus sagen: Wenn jemand zu mir kommt und sieht nur seine Eltern, seinen Ehepartner, seine Kinder, seine Geschwister, dazu sich selbst – der kann nicht mein Jünger sein.
Ob unsere Mittel reichen? Unser Glaube? Ich spüre die Angst, etwas, das mir wichtig ist, zu verlieren oder in den Sand zu setzen. Ich spüre die Angst, etwas anzufangen, aber nicht durchhalten zu können. Ich spüre auch die Angst, mit meinem Vertrauen zu stranden. Wie war das mit dem Haus, das nicht fertig wird? Mit dem Vorhaben, das in einer Flucht endet?
Im Evangelium vom fein kalkulierten Leben erzählt Lukas, dass uns so viel Liebe und so viel Geist geschenkt werden, dass wir aus unserer kleinen Welt herauswachsen. Mit den vielen Bindungen, Abhängigkeiten und Selbstverständlichkeiten. Viele andere Menschen sehnen sich danach, von uns gesehen, angenommen und verteidigt zu werden. Einige kenne ich aus der Nachbarschaft, einige sogar aus dem Fernsehen. Eine Welt, die klein geworden ist, beschert uns jeden Tag die Hoffnung auf die neue Welt, von der Jesus gesprochen hat, für die er uns zu beten lehrte: Dein Reich komme.
Das gibt uns den Mut, unser Leben neu zu kalkulieren. Das Haus, dass wir bauen, wird fertig – und was wir uns vornehmen, endet nicht in der Flucht.
Es ist doch gut, heute dieses Evangelium zu haben. Ich weiß, dass ich mich heute nicht verkalkuliere! Das ist doch wenigstens eine Predigt wert! Amen!
Seneschall Matthias David