IN DER HAND GOTTES

Predigtgedanken zum 6. Sonntag der Osterzeit Joh 14:23 – 29

Über der Abschiedsrede Jesu liegt Wehmut und Traurigkeit, obwohl Jesus zusagt, bei seinen Jüngern zu bleiben. Er verheißt den Heiligen Geist als Weggefährten, als Beistand, als Advokaten im Gericht.

VOR GERICHT UND AUF HOHER SEE

Vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand, heißt es. Ein Sprichwort. Fromm ist es nicht. Eher Ausdruck von Sorgen: Du hast es jetzt nicht mehr in der Hand. Wie die Geschichte ausgeht, wie zerzaust man herauskommt, ob alles gut wird – sicher ist nichts. Vor Gericht und auf hoher See…


Jesus hat dieses Sprichwort wohl nicht gekannt. Sein Evangelist, der Johannes, auch nicht. Aber alleine dazustehen, zurückgelassen werden, alte Sicherheiten zu verlieren, ist eine sehr menschliche Erfahrung. Sie gehört auch zu den Erfahrungen der jungen Kirche. Und nicht nur zu ihr: Uns allen ist das vertraut. So hören wir das Evangelium. Jesus verspricht in seiner Abschiedsrede:

„Der Beistand aber, der Heilige Geist,
den der Vater in meinem Namen senden wird,
der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden hinterlasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch.“

Alles lehren, alles erinnern! Auf Abschiedsreden lasten große Erwartungen. Abschiede haben auch immer eine eigene Dynamik. Trauer stellt sich ein. Es ist, als ob die Zeit wegläuft. Es muss noch so viel gesagt werden. – Alles, was bleiben soll. Was wichtig ist. Was sich mit Erinnerungen, Namen, Gefühlen verbindet. Jedes Wort hallt im Herzen wider.

Nur: was ist eine Abschiedsrede? Ist sie ein Vermächtnis, ein Testament, eine Rechtfertigung? Und wenn es die Abschiedsrede Jesu ist: sein Vermächtnis, sein Testament, seine Rechtfertigung? Hier stößt das Wort „Abschiedsrede“ an eine Grenze. Jesus wird seine Jünger zwar verlassen, sterben, auferstehen, zum Vater gehen – so bekennen wir das -, aber er wird den Weg seiner Jünger, seiner Kirche weiter mitgehen. Wie er das immer schon gemacht hat. Jesus verlässt seine Jünger nicht. Er bleibt bei seiner Kirche. Er bleibt bei uns. Mit seinem Geist, mit seinem Namen und mit seinem Frieden. Insofern ist das eine Auftaktrede. Eine große Eröffnungsrede. Für eine neue Periode, einen neuen Zeitabschnitt, eine neue Zukunft. Jesu Wort lebt. Sein Wort lebt unter uns. Vor Gericht und auf hoher See…

PROZESSBEOBACHTER

Ich versuche, mir die Jünger vorzustellen. Von ihren Reaktionen auf die Rede Jesu wissen wir nicht viel, eigentlich gar nichts. Dass sie traurig sind, sagen nicht sie, Jesus sagt es. Dass sie Angst haben, sagen sie auch nicht, Jesus spricht es aus. Dass sie mutig sind, sagt ihnen Jesus zu. Damit wird ein Teufelskreislauf durchbrochen. Jesu Rede löst die Zungen. Jesu Rede macht mutig.

Wir merken, dass unser Glaube für viele Menschen immer fremder wird. Das beeinflusst auch uns. Unberührt davon bleiben wir nicht. Wir finden depressive Stimmungen vor, nehmen aber auch aggressive Töne wahr. Auch mitten unter uns. Sollen wir unsere alten Inseln zurückerobern? Uns in alte Formen und Formeln flüchten? Sollen wir uns mutig stellen? Uns auf Neues einlassen? Auch um den Preis, gesichertes Gelände hinter uns zu lassen? Es geht doch um den Willen Jesu! Um seine Liebe!

„Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“

sagt Jesus.

An „meinem Wort festhalten“ ist ein überaus lebendiger, nach vorne gerichteter Prozess. Zu konservieren ist hier nicht viel, eher alles in die Waagschale zu werfen. Sein Wort ist auch mehr Lazarett als Schloss, mehr Flüchtlingslager als Dom.

Wir möchten den Willen Jesu erfüllen, seine Liebe weitergeben, aber uns geht die Kraft aus. Wir werden kurzatmig. Wir geraten an die Grenzen unseres Verstehens. Darüber lässt sich vernünftig reden. Aber uns fehlen, gerade dann, wenn wir sie brauchen, oft auch die Worte. Worte, die überzeugen und klären, die es mit dem Zweifel aufnehmen und mit dem Hochmut, die Herzen aufschließen und Augen öffnen. Wenn wir dann unter uns sind, in unseren kleinen Kreisen, werden Wunden geleckt, große Worte gespuckt – und doch wieder Grenzen hoch gezogen.

Wir bringen in unseren Gottesdiensten die Nöte der Menschen vor Gott. Wir sehen, wie tiefe Risse sich in unsere Gesellschaften einzeichnen. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, oft vornehm versteckt. Um Einfluss, Macht und Vorteile. Aber die Liebe ist auf weite Strecken ein Fremdwort geworden – so fremd wie die Fremden, wie die Flüchtlinge, die zu uns kommen. Beschworen wird die Liebe allenthalben. Aber sie soll unsere Kreise nicht stören, unsere Gewohnheiten in Ruhe lassen, unsere Besitztümer nicht schmälern. Aber was darf die Liebe dann noch – wenn sie keine Liebe mehr sein darf? Ein Wort, wie so viele andere. Verbraucht, verloren und verstummt.

Wir beobachten solche Prozesse. Sind wir Angeklagte? Ankläger? Verteidiger? Gutachter?
Im Johannesevangelium spielt tatsächlich das Bild von einem Gericht die Hauptrolle. Hauptangeklagter: Der Fürst dieser Welt. Der Hass. Die Unbarmherzigkeit. Die Unmenschlichkeit. – Es sind viele Prozesstage anberaumt. Die Dokumente sind umfangreich. Sie sprengen alle Ordner.

VOR GERICHT

In seiner Rede, seinem Plädoyer, verspricht uns Jesus einen Beistand. Er bestellt einen Anwalt für uns. Einen „Fürsprecher“.
Beistehen ist ein schönes Wort! Beistand auch! Ich denke sofort an einen Gefährten, eine Gefährtin, die ein Stück mit mir mitgehen, mir zur Seite stehen, mir ihren Mut leihen will. Ich fühle vertraute Nähe, ich werde sicherer und der Atem wird ruhig. Es wird Zeit, die Dinge zu sortieren, für Wahrheit und Recht einzustehen und der Liebe das letzte Wort zu geben! Sie rechnet sich nicht, aber sie verwandelt die Welt.

Jesus sagt:

Der Beistand aber, der Heilige Geist,
den der Vater in meinem Namen senden wird,
der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden hinterlasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch.

Jesus verspricht seinen Jüngern den Heiligen Geist. Er nennt ihn: Beistand. In diesem Wort steckt viel. Wir hören schon im Wort, dass jemand da ist, der „für uns“ spricht, uns vertritt – eben auch: uns verteidigt. Pfingsten – in wenigen Tagen – werden wir hören, wie der Geist Gottes ausgeschüttet wird. Ausgeschüttet! Die Liebe ist nicht am Ende!

Vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand, heißt es. Ein Sprichwort. Fromm ist es nicht. Eher Ausdruck von Sorgen. Aber auch von einem ungeheuren Vertrauen – und einer großen Gelassenheit. Wie die Geschichte ausgeht, wie zerzaust man heraus kommt, ob alles gut wird – ist im Frieden Gottes geborgen. Vor Gericht und auf hoher See…

Amen.

Seneschall Matthias David