König der Barmherzigkeit

(Predigtgedanken zum Christkönigsfest (ev. Ewigkeitssonntag) Lk 23:35 – 43)

20. November. Ist heute eigentlich ein Festtag? Ein stinknormaler Sonntag? Heute ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Krönung und Höhepunkt vieler Tage. Und er trägt einen großen Namen: Sollemnitas Domini Nostri Iesu Christi Universorum Regis – zu deutsch: Hochfest unseres Herrn Jesus Christus, des Königs des Weltalls, der König der Welt.
In der dunklen Jahreszeit verschwindet dieser Sonntag fast. Viele freuen sich schon auf die Weihnachtsmärkte. Sie haben schon reihenweise geöffnet. Einen Königstag haben wir heute nicht erwartet.

KÖNIG DER JUDEN

Das Evangelium haben wir trotzdem noch in den Ohren. Sind Sie auch überrascht? Es ist ein Abschnitt aus der Passionsgeschichte und erinnert an den Karfreitag. Von Verachtung ist die Rede, von Spott und Hohn. „Wenn du der König der Juden bist, dann hilf dir selbst.“ Wenn, ja wenn… Jesus hat sich nicht geholfen. Eine kleine Tafel ist auf dem Kreuz befestigt. Sie wurde Jesus vorangetragen, als er gebunden und gefesselt, den Balken auf der Schulter, auf die Schädelstätte getrieben wurde. Sein Verbrechen, sein Urteil geht ihm voran: König der Juden. Ob er es gesagt hat, wie er es gemeint hat, was man ihm unterstellte – jetzt ist alles egal. Jesus hängt am Kreuz.

Von zwei Verbrechern ist die Rede, die auch hängen – Jesus ist in feiner Gesellschaft. Im Sterben. Einer der beiden hat eine böse Zunge. Obwohl er kaum noch atmen kann, stellt er sich als Zyniker dar. Der andere wendet sich Jesus zu: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Er nennt Jesus mit Namen. Unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein, aber selbst hier an diesem Ort der Verlorenheit stellen sich Glauben und Unglauben, Nähe und Ferne, Vertrautheit und Distanz dar. Noch tiefer kann auch ein König nicht fallen. Oben aber hängt das Schild: Das ist der König der Juden.

Es ist eine besondere Situation, ein besonders Gespräch. Ein Verbrecher weiß um das Reich Gottes. Er hat Jesus verstanden. Er nimmt ihn beim Wort. Er nimmt Zuflucht bei ihm. Die Situation ist auch deswegen so intim – ich schäme mich fast, zuhören zu müssen -, weil nur kleine Leute, die von „unten“, gekreuzigt wurden. Die, die Geld und Ansehen hatten, konnten zwar auch zum Tode verurteilt werden, aber sie durften ehrenvoller verrecken. Selbst im Tod sind die Sterbenden nicht gleich. Und wer an das Kreuz gehängt wird, ist ganz unten – und war ganz unten. Jesus ist in feiner Gesellschaft. Ein König, der noch am Kreuz zu denen gehört, die von Gott und Menschen verlassen sind.

Lukas, der Evangelist, wird nicht umsonst „Evangelist der Armen“ genannt. Selbst an diesem verlorenen Ort, der wie ein Schädel aussieht, findet Jesus seine Jünger. Und wenn es ein Verbrecher ist. Gott sieht die Menschen, ihre Geschichten, ihre Verstrickungen und ihre Träume anders als wir. Übrigens: die beiden Schächer – wie wir sie meistens nennen – waren wohl Terroristen: Menschen, die mit Terror und Angst das Reich Gottes erzwingen wollten. Im Kampf mit den Römern. Mit Terrorakten. Mit unschuldigen Opfern. Zeloten hießen sie einst, heilige Krieger heute. Aber mit Gewalt kommt Gott nicht. Er lässt sich auch mit Gewalt nicht zwingen. Sein König hängt jetzt am Kreuz. Und was oben steht, ist wahrer als das, was die glaubten, die es schrieben: Das ist der König der Juden. Und unser König.

KÖNIGSTAG – CHRISTKÖNIGSTAG

Heute, am letzten Sonntag des Kirchenjahres 2021/2022, schauen wir zurück. Auf – sagen wir – königliche Erfahrungen: Es ist eine königliche Erfahrung, ein Jahr der Barmherzigkeit zu begehen. Sogar mit Pforten. Jeder von uns kann jetzt seine kleinen und großen Erfahrungen dazu tun. Wir haben auch die Unbarmherzigkeit gesehen, Hassparolen wahrgenommen, geschürte Ängste entdeckt. Der Terror hat nicht nur blutige Spuren hinterlassen – er hat auch Vertrauen ausgehöhlt. Das mit Absicht. Wir gehen kleinlaut und eingeschüchtert auf den Leim derer, die Unfrieden sogar rational begründen. Populistische Parolen haben auf einmal wieder eine Chance – die Wahrheit aber bleibt auf der Strecke. Mit ihr dann auch die Barmherzigkeit. Wir dürfen die Pforten eigentlich nicht schließen, die Pforten des Heiligen Jahres. Es sind schon zu viele Türen zugegangen! Zu viele Grenzen geschlossen! Zu viele Hoffnungen verpufft!

Vielleicht dürfen wir schon einmal in die Adventszeit schauen. Am nächsten Sonntag, dem 1. Advent, werden wir Ps. 24 beten:


Ihr Tore, hebt euch nach oben,
hebt euch, ihr uralten Pforten;
denn es kommt der König der Herrlichkeit.
Wer ist der König der Herrlichkeit?
Der Herr, stark und gewaltig,
der Herr, mächtig im Kampf.

Ihr Tore, hebt euch nach oben,
hebt euch, ihr uralten Pforten;
denn es kommt der König der Herrlichkeit.
Wer ist der König der Herrlichkeit?
Der Herr der Heerscharen,
er ist der König der Herrlichkeit.


Es ist eine Tor-Liturgie. Eine Liturgie an der Pforte. Menschen stehen sich gegenüber. Wie zwei Chöre. Sie rufen: Ihr Tore, auf! Hoch! Der König kommt. Dann, wie nach Drehbuch: Wer ist der König der Herrlichkeit? Die Antwort kommt von gegenüber: Gott selbst kommt, stark, gewaltig, mächtig im Kampf – und im Refrain: der Herr der Heerscharen, Herr des Himmels, Herr aller Engel.

Das sind starke Bilder. Wir besingen sie auch in dem Lied „Macht hoch die Tür“ – gedichtet nach Psalm 24. Aber heute ahnen wir, dass Gott anders kommt als vor dem Tor noch erhofft. Stark, mächtig, übermächtig… Wer kommt?
Der König kommt – aber der geht zum Kreuz. Der lässt sich zum Kreuz treiben. Der lässt sich unter Lumpen hängen.

Jetzt darf, jetzt muss aus einem Brief zitiert werden. Wir haben das vorhin auch gelesen:


Gott hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.
Und dann: Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.

Gestifteter Frieden! Geschenkter Frieden! Geschenkte Barmherzigkeit! Jesus steht mit seinem Leben dafür ein. Heute denken wir an ihn. Ein Königstag!

EIN BLICK ZURÜCK

Das Christkönigsfest wurde erstmals anlässlich des Heiligen Jahres 1925 zur 1600-Jahr-Feier des Konzils von Nicäa 325 von Papst Pius XI. eingesetzt, wenige Jahre nach dem Untergang von König- und Kaiserreichen mit dem Ende des Ersten Weltkrieges. In Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland mussten die Monarchen abdanken und abhauen. In anderen Ländern auch. Große Verunsicherungen und Ängste machten sich unter den Menschen breit. Wie soll es jetzt mit uns weitergehen, dachten sie – manchmal laut, manchmal sogar zu laut. Extreme Positionen suchten Gehör und eroberten die Straßen – hier Kommunisten, dort Nationalsozialisten. Man ging nicht zimperlich miteinander um, nahm auch politischen Mord in Kauf und schlug aufeinander ein. Es sollte auch nicht mehr unterschieden werden können, was wahr ist, was Lüge war – schuld sind die anderen. Wortfetzen bäumten sich zu Ungetümen auf. Schreckliche Jahre. Jahre, über denen schon die dunklen Wolken zogen. Am Horizont konnten hellsichtige Menschen schon den großen Krieg sehen, der als 2. Weltkrieg die Welt auseinanderriss und in den Abgrund stürzte. Da wurde Christus als König der Welt proklamiert. Ehrlicher: bezeugt. Sein Name wurde genannt, gelobt, ersehnt. Sollemnitas Domini Nostri Iesu Christi Universorum Regis – zu deutsch: Hochfest unseres Herrn Jesus Christus, des Königs des Weltalls, der König der Welt.

Dieser Tag muss gefeiert werden. Menschen hören Gottes Wort, singen von der Liebe Christi und freuen sich an seiner Herrschaft. Er ist ein König der Liebe. Seine Krone ist die Dornenkrone. Sein Zeichen das Kreuz. Und seine Gefährten in der letzten Stunde? Bei denen war er schon vorher zu Hause. Nichts Neues unter der Sonne. Aber die Barmherzigkeit leuchtet. Sie trägt den Sieg davon.


„Amen, ich sage dir: Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“

Und das an einem 20. November!

Seneschall Matthias David