LEBEN GEWINNEN

(Predigtgedanken zum 13. Sonntag im Jahreskreis / 4. Sonntag nach Trinitatis Mt 10:37 – 42)

UNBEHAGEN

Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als sie das Evangelium hörten? Hatten Sie ein gutes Gefühl, ein gemischtes, gar ein abgründiges? Dass es eine Rede an die Jünger Jesu ist, haben Sie gemerkt. Das entlastet uns aber nur auf den ersten Blick. Schnell sind wir hineingezogen. Mit Sätzen – Peitschen gleich – und Sätzen, großen Lohn versprechend. Aber sie wirken aneinander gereiht, zusammenhanglos und insgesamt beängstigend.

Eine gewisse Ratlosigkeit kann ich nicht verbergen. Ich sehne mich nach einem Lob aus seinem Munde, wo es doch so schwer ist, gegen ein übermächtiges Schweigen oder gegen lauten Widerspruch zu glauben. Dass ich seiner – Jesu – nicht würdig sein soll, nur weil ich meine Eltern und Kinder liebe, ist wie ein Albtraum. Leider habe ich das Geheimnis auch noch nicht heraus, wie ich Liebe in „mehr“ oder „weniger“ aufteilen könnte. Geht das überhaupt – mehr lieben?

RÜCKSCHAU

Ich muss jetzt an die Jünger denken. An zwölf Fingern kann ich sie abzählen. Ich kenne sogar ihre Namen. Ihre Schwächen auch. Die Jünger, die Jesus berufen hat, haben ganz viel hinter sich zurückgelassen, um mit ihm zu gehen. Ihre Berufe haben sie aufgegeben, ihre Familien, ihre Freundeskreise. Sie haben auf ihrer Wanderung durch das Land, immer in der Nähe Jesu, Menschen gebraucht, die ihnen Unterschlupf gewährten, ein Dach über den Kopf für eine Nacht, einen Becher frischen Wassers auf staubigem Weg.

Jesus macht seinen Jüngern nichts vor, er hat auch keine falschen Versprechungen für sie. Ihr müsst nur zu mir passen, sagt er. Dann geben die Jünger Jesus den Vorzug – vor Vater und Mutter, Sohn und Tochter, sie geben gar dem Kreuz den Vorzug gegenüber einem gesicherten und erfolgreichen Leben. Wenn wir die Worte Jesu von hinten, sozusagen aus der Rückschau lesen, hören sie sich ganz anders an. Sie sind von gemeinsamen Lebenserfahrungen durchzogen, sie sind auf einem gemeinsamen Weg erprobt, sie sind in vielen Begegnungen – und Auseinandersetzungen – gereift. Gerade die sperrigen, nicht eingängigen, nicht so „schönen“ Geschichten entpuppen sich am Ende als Kleinode, als Schmuckstücke. Was der Evangelist Matthäus als große Herausforderung überliefert, haben die Jünger gemeistert. Mutig. Ob sie Jesus dann immer würdig waren? Einer hat ihn verraten, einer verleugnet, geflohen sind sie am Ende alle.

Jesus spricht aber auch die an, die seine Jünger aufnehmen. Sie nehmen mich auf, sagt Jesus. Himmlischer Lohn wird ihnen versprochen. Jesus gebt seinen Jüngern sozusagen eine Visitenkarte mit, die ihnen Türen – und Herzen öffnen wird. Sie können davon ausgehen, dass sie Unterschlupf finden werden. Auch die Freude, neue Freunde zu gewinnen. Auch die Kraft, Durststrecken zu bestehen. Die Jünger Jesu haben die Unsicherheit in ihrem Leben bejaht. Sie werden aber von anderen Menschen aufgenommen. Das ist ein schönes Wort: aufgenommen werden. Es klingt warm und vertraut, es verspricht Nähe und Verlässlichkeit.

Erst im Rückblick geht uns auf, wie groß die Meinung ist, die Jesus von seinen Jüngern hat. Und wie groß das Vertrauen ist, dass die Jünger ihm gewähren. Wer von ihnen liebt „mehr“? Wie gut, dass wir das heute nicht entscheiden können.

WEISHEIT

Ich habe jetzt von den Jüngern geredet. Ein bisschen habe ich das Gefühl, noch einmal davon gekommen zu sein. Wir haben unsere Kirche, unsere Institutionen, unsere großen Überlieferungen und Traditionen. Eine heiliger als die andere. Gelegentlich erschrecken wir darüber, dass es etwas kostet, Christ zu sein, manchmal fällt es uns sogar schwer, das offen zu sagen und zu zeigen. Wenn wir sonst auch vieles delegieren oder abtreten können – den Glauben nicht. Das Bekenntnis beginnt immer mit: Ich.

In unserer, oft auch unübersichtlichen Situation, bekommen die Worte Jesu noch einmal einen eigenen Klang. Sie haben viel gemeinsam mit Sätzen, die wir aus der Weisheit Israels kennen. Knackige, einprägsame Formulierungen, die Lebenserfahrungen, Hoffnungen und Träume aufbewahren – und eben auch zur Verfügung stellen. In unseren eigenen Worten: Was hält uns fest, was bindet uns? Was ist uns überhaupt wichtig? Was könnten wir loslassen? „Jesus sagt: Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“

Ich möchte das Leben gewinnen. Mit Geld gelingt es nicht, mit Leistung auch nicht, mit Erfolg vielleicht am wenigsten. Aber mit Vertrauen und Liebe, mit dem Geschenk von Nähe und Gemeinschaft. Was dein Leben ausmacht, kannst du dir nicht kaufen. Ob Jesus das so auf unseren Marktplätzen sagen, in Facebook schreiben, twittern würde? Nachfolge Jesu bedeutet, ihn zu lieben, sich seinem Wort zu öffnen, mit ihm mitzugehen. Menschen erzählen sich dann Geschichten, die wie aus einer anderen Welt anmuten, aber in Wirklichkeit nur das Wunder beschreiben, dass es immer noch Liebe gibt – und Vertrauen nicht ausläuft. Die Befürchtung, dass uns das blühen könnte, habe ich auch schon gehört. Angst habe ich keine.

AUFNEHMEN

Das Schwergewicht der Worte Jesu ruht auf dem Schluss. Es ist davon die Rede, dass die Jünger aufgenommen werden. Heute werden wir daran erinnert, dass wir als Jünger Jesu andere aufnehmen. Das hat mit offenen Türen und Fenstern zu tun, aber auch mit offenen Herzen und Armen. In den Ostergeschichten wird erzählt, dass sich die Jünger aus Furcht zurückziehen, sich verschließen – und eben auch Türen und Fenster zu machen. Es dringt nichts mehr zu ihnen, sie lassen auch nichts mehr an sich heran. Und es gelangt nichts mehr nach draußen. Nicht ein Hoffnungsschimmer. Da kommt Jesus zu ihnen, als der Auferstandene, und bringt ihnen den Frieden. Und alles, was verschlossen war, geht auf.

Es gibt wohl nichts Größeres, als einen anderen Menschen aufzunehmen. Manchmal werden wir ihn als Gast sehen. Einfach entgegenkommend. Aber in dem Wort stecken auch die Worte „aufheben“ und „hochheben“. Dann wird ein Mensch, der unten ist, groß. Dann wird ein Mensch, der verloren ging, an meinem Tisch sitzen. Am Ende ist es eine weite Sicht.

Fast schäme ich mich: ich habe Jesu Worte beängstigend genannt. Ich erlebe sie jetzt aber geradezu befreiend. Das Evangelium ist eben doch immer für eine Überraschung gut.

Amen

Seneschall Matthias David