(Predigtgedanken zum 7. So.i.Jahreskreis / Sexagesimae Lk 6:27-38, 1Sam 26:2-25, 1Kor 15:45-49)
Die Forderung Jesu, die Feinde zu lieben, empfinden viele Menschen als Zumutung. Wie und wo hat sie Platz in unserem Leben? Das emotionale Lieben ist nur eine Facette menschlicher Liebe. Die Feindesliebe kann von der Goldenen Regel her rational begründet werden. Das Leitbild der Liebe ist für Jesus die unendliche Barmherzigkeit Gottes. Diese geht noch über die Goldene Regel hinaus.
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Wer mit dem Mobiltelefon Kurznachrichten verschickt oder empfängt, kennt die sog. Emojis. Das sind kleine Symbolbilder, die kurz und bündig Emotionen ausdrücken: ein lachendes Gesicht, ein Gesicht mit einer Träne oder ein zorniges Gesicht usw. sagt mehr als viele Worte. Junge Leute verwenden sie besonders gern. Ein rotes Herz bedeutet Liebe oder neudeutsch „love“. Mit Buchstaben kombiniert kann man so mit drei Zeichen „I♥Y – I love You“ zum Ausdruck bringen.
Mich amüsiert, dass junge Menschen heute keine Scheu vor naiver Herzlsprache haben, obwohl ihr etwas Infantiles anhaftet. Vor vierzig Jahren wäre es undenkbar gewesen, auch nur andeutungsweise sich einer so naiven Zeichensprache zu bedienen. Viele der Herz-Jesu- und Herz-Marien-Bilder wurden in dieser Zeit abgehängt. Sie galten als Inbegriff religiösen Kitsches. Mit der Herz-Symbolik der Herz-Jesu-Verehrung konnten wir nichts anfangen.
DAS HERZ ALS SYMBOL DER LIEBE
Das Herz gilt als eindeutiges und allen verständliches Symbol der Liebe. So treffend es sein mag, es beschreibt nur eine Seite der Liebe. Ich fürchte, mittlerweile haben viele Menschen eine in diesem Sinn verkürzte Sicht von Liebe. Es sagt sich leicht „Ich liebe dich“. Oft bedeutet dies nicht mehr als ein „Ich mag dich“ und ist Ausdruck eines starken Gefühls. Liebe mit allen Konsequenzen aber bedeutet noch viel mehr. Ein „Ich liebe dich“ kann auch beinhalten: „Ich bin entschlossen, ganz für dich da zu sein, mein Leben ganz auf dich auszurichten“. Das ist weit mehr als ein „miteinander Pferde stehlen“. Eine solche Liebe kann auch noch bestehen bleiben, wenn die Liebesgefühle nachgelassen haben. Unter Umständen kann dann „Ich liebe dich“ heißen: „Ich tue, was für dich gut ist, obwohl ich mich dazu überwinden muss.“ In der griechischen und lateinischen Sprache gab es für die unterschiedlichen Facetten der Liebe mehrere Wörter, die in unsere modernen Sprachen meist nur mit Liebe übersetzt werden: erotas, adelphia, agape, amor, caritas.
FEINDE LIEBEN?
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen verliert die Forderung Jesu, sogar Feinde zu lieben, etwas von seiner Dramatik. Den Feind emotional zu lieben, ist m. E. nur mit psychischen Verrenkungen möglich. Die Liste der Forderungen, die wir im Evangelium gehört haben, erscheint als eine Aufzählung von Überforderungen. Wer ist dazu fähig?
„Liebt eure Feinde;
tut denen Gutes, die euch hassen!
Segnet die, die euch verfluchen;
betet für die, die euch beschimpfen!
Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin
und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd!
Gib jedem, der dich bittet;
und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück!“
Als Begründung führt Jesus die sog. Goldene Regel an: „Wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“ Aus ihr kann man ganz vernünftige von der jeweiligen Gefühlslage unabhängige Regeln ableiten.
Was tun wir als Gesellschaft mit Gewaltverbrechern? Eine erste emotionale Reaktion ist oft ein Impuls, sie zu lynchen oder zumindest hart zu bestrafen. In manchen Ländern hält man immer noch an der Todesstrafe fest. Bei genauerem Hinsehen können emotional geleitete Reaktionen problematisch werden. Was bringen härtere Strafen in Beziehungstaten, wie man es derzeit in Europa diskutiert? Fachleute meinen, dass sie potenzielle Täter nicht wirklich abschrecken. Es sei sinnvoller, solchen Verbrechen auf anderen Wegen vorzubeugen. Mit Wegsperren allein wird das eigentliche Problem meist nur hinausgeschoben. Konzepte eines humanen Strafvollzugs und der Resozialisierung bauen auf eine klare rationale Basis auf.
DIE ANDERE WANGE HINHALTEN?
Natürlich ist es notwendig und wichtig, Menschen vor gefährlichen Tätern zu schützen. Und es ist nicht nur Recht sondern auch Pflicht jedes Einzelnen, sich vor gefährlichen Menschen in Acht zu nehmen und nötigenfalls Vorkehrungen zum Selbstschutz zu treffen.
„Auch die andere Wange hinzuhalten“ ist auf jeden Fall eine sehr provokative Forderung. Sie kann als „paradoxe Intervention“ – wie es Psychologen nennen -, eine verblüffende Wirkung haben. Vom hl. Klemens Maria Hofbauer wird erzählt, er habe Geld für sein Waisenhaus gesammelt und sei dazu auch in ein Wirtshaus gegangen. Einer der Wirtshausbesucher habe ihm dabei voll Hass ins Gesicht gespuckt. Der Heilige habe in Ruhe sein Gesicht abgewischt und sein Gegenüber aufgefordert: So, das war für mich, und jetzt geben Sie bitte etwas für meine Waisenkinder. Der aufgebrachte Mann sei daraufhin so perplex gewesen, dass er in seine Tasche gegriffen und etwas für die Kinder gespendet habe. Ob ich jemals so viel Gelassenheit wie dieser Heilige aufbringen werde, wage ich nicht zu versprechen. Lernen können wir von ihm, auch in so emotionsgeladenen Situationen kühlen Kopf zu bewahren. Dass unerwartete Liebe Menschen auch heilen und umkehren lassen kann, erzählen uns viele Geschichten der Heiligen Schriften.
BARMHERZIG WIE DER VATER IM HIMMEL
Jesus geht jedoch in der Begründung seiner radikalen Vorstellung von Liebe über die Goldene Regel hinaus. Sein Leitbild ist die Liebe Gottes. „Er ist gütig auch gegen Undankbare und Böse. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“. Matthäus beschreibt die Barmherzigkeit Gottes mit einem Bild: „Er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Matth 5,45). Gott schafft vielleicht auch das uns Menschen Unmögliche: Übeltäter auch emotional zu lieben.
Seneschall Matthias David