(Predigtgedanken zum 17. So. im Jkr. / 8. So. n. Trinitatis)
Im Matthäusevangelium findet sich das Gleichnis vom Schatz und der Perle. Man kann es im dreizehnten Kapitel nachlesen. Es umfasst die Verse 44 – 46. Was wir da erfahren, klingt zunächst einmal wie eine Geschichte aus fernen Ländern und längst vergangenen Tagen. Aber dieser Eindruck täuscht. Die Geschichte könnte genauso gut in unseren Tagen geschehen sein. Da ist die Rede von einem Mann, der den Auftrag hat, ein Feld umzupflügen. Bei dieser Arbeit stößt er zufällig auf wertvolle Gegenstände, die jemand vergraben hat. Immer, wenn Kriegswirren ein Land überziehen, versuchen die Leute, ihre wertvolle oder weniger wertvolle Habe durch Verstecken oder Vergraben zu retten. So kann man heute noch zufällig auf vergrabene oder eingemauerte Dinge stoßen. In einem Haus, bei dessen Umbau zu einem Dorfladen ich als Helfer mitgearbeitet habe, wurde tatsächlich ein eingemauerter Schatz aus Goldmünzen gefunden. Auf dem Gelände des Baubetriebes, bei dem ich damals mithalf, fand sich bei Ausschachtungsarbeiten eine Holzkiste. Der Bauleiter holte sofort die Kriminalpolizei.
Als die Kiste vorsichtig und umständlich geöffnet wurde, fand sich aber nur das Gerippe eines Hundes darin. Wir merken aber schon an der schnellen Reaktion der an dem Fund beteiligten Männer, wie sehr wir heute noch damit rechnen, vergrabene Schätze zu finden. Im zweiten Absatz unseres Evangeliums ist die Rede von einem Kaufmann, der ausnehmend schöne Perlen sucht. Auch dieser Mann könnte in unseren Tagen leben. In ihm steckt der Ehrgeiz, das Beste, was in seiner Branche vorhanden ist, in seinem Sortiment zu haben. Er ist also dauernd auf der Suche nach attraktiven, wertvollen Schmuckgegenständen. Während unser Mann aus dem ersten Teil des Evangeliums rein zufällig auf den wertvollen Fund stößt, geht der Kaufmann systematisch auf die Suche. Man könnte ihn mit einem Ladeninhaber vergleichen, der sehr genau das gesamte Angebot der betreffenden Branche überprüft, mit allen möglichen und wichtigen Stellen Kontakt aufnimmt und dauernd am Telefon hängt, damit seine Filiale wirklich ein exquisites Angebot hat. Nach dieser kleinen Abhandlung über vergrabene Schätze und Ladeninhaber, die auf Draht sind, werden Sie sich natürlich fragen, was das alles mit dem Christentum zu tun hat. Es hat eine Menge damit zu tun. Denn Jesus hat uns diese beiden kleinen Geschichten erzählt. Und Jesus beginnt seine Erzählung mit den Worten: „Mit dem Himmelreich verhält es sich so wie mit einem Mann, der einen Schatz im Acker fand“, und „Mit dem Himmelreich verhält es sich so wie mit einem Kaufmann, der kostbare Perlen sucht.“ Wenn Jesus aber das Himmelreich mit Vorgängen vergleicht, die sich heute ereignen können und auch tatsächlich ereignen – denn heute werden auf der Erde viele Äcker gepflügt und heute werden auf der Welt viele Kaufverträge abgeschlossen -, dann hat dieses Wort Himmelreich etwas mit dem heutigen Tag zu tun. Es ist nicht ein Märchen aus dem dicken Märchenbuch der Gebrüder Grimm. Es ist auch nicht ein fernes unerreichbares Paradies etwa nach der Art des Schlaraffenlandes. Himmelreich ist kein Traumziel in nebelhafter Ferne, sondern Himmelreich ist in der Reichweite meiner Hände. Sagen wir es noch etwas deutlicher: Gott ist kein Märchen aus längst vergangenen Tagen und Gott ist kein unerreichbares Wesen fern hinter dem Horizont von Raum und Zeit. Sondern Gott ist heute anwesend. Er ist heute zu erreichen. Weil er das so will, lässt er sich heute von uns finden. Sehen wir uns noch einmal den Mann an, der den Schatz im Acker fand. Er stieß rein zufällig auf den vergrabenen Topf mit Münzen und Schmuckstücken. Seine Berufsarbeit war es, auf dem Acker zu pflügen. Die Pflugschare werden das Gefäß mit dem Schatz darin ans Tageslicht befördert haben, wie ja auch noch auf unseren Äckern ab und zu Gerät aus dem vergangenen Krieg ans Tageslicht kommt. Der Mann hatte also gar nicht die Absicht, auf Schatzsuche zu gehen. Er wollte nur seine Berufsarbeit tun. Dass er einen Schatz finden würde, hatte er nicht einmal im Traum geahnt. Wenn es sich so mit Gott verhält wie mit der kleinen Geschichte von diesem Landarbeiter, dann heißt das doch: Wir haben es gar nicht nötig, uns in außergewöhnliche Aktionen und ängstliche Aufregung zu stürzen, weil wir Gott finden wollen. Gott wird sich von uns finden lassen mitten in unserem alltäglichen Tun. Er wird sich von uns finden lassen mitten in der Zeit, von der wir glauben, wir seien so beschäftigt, dass wir unmöglich Zeit für Gott haben könnten. Gott wird sich von uns finden lassen während unserer Berufsarbeit an der Drehbank, auf den Feldern, am Steuer des Fernlasters, am PC und beim Staubwischen. Er wird einfach da sein und wir werden ihn mit einem kleinen Lächeln der Freude ebenso einfach begrüßen. Sehen wir uns auch einmal den Mann mit den Perlen an. Er stößt nicht zufällig auf ein ganz einmaliges und wunderschönes Exemplar von Perle. Er findet dieses kostbare Schmuckstück, weil er immer auf der Suche ist. Er ist hinter den Perlen her wie ein Detektiv hinter Gaunern. Er hat sich mit Leib und Seele auf Perlensuche eingestellt. Wenn es sich mit Gott so verhält wie mit der keinen Geschichte von diesem Perleneinkäufer, dann heißt das doch: Gott lässt sich von uns finden, wenn wir mit Leidenschaft auf die Suche gehen. Gott wird sich von uns finden lassen, wenn wir nicht in der Haltung verharren: „Irgendwie wird die Sache mit dem lieben Gott und dem Himmel schon klappen.“ Gott ist es wert, dass wir auf die Suche nach ihm genauso viel Initiative, Spürsinn, Zeit und Empfindungsgabe aufbringen, wie ein Großteil der Mitbürger sie aufwendet, um Antiquitäten, exotische Tiere, Folower in sozialen Netzwerken und Rabattpunkte im Supermarkt zu sammeln. Gott ist es wert, dass wir mit Leidenschaft nach ihm suchen und nicht mit gequälten oder gelangweilten Gesichtern von Leuten, die sich zu einer völlig unproduktiven und unsinnigen Arbeit angestellt fühlen. Damit sind wir bei dem, was den Landarbeiter auf dem Acker und den Perleneinkäufer miteinander verbindet. Beide freuen sich außerordentlich über das, was sie gefunden haben. Beide setzen aus dieser Freude heraus alles ein, um das Gefundene sicherzustellen. Der Mann, der beim Pflügen auf den Schatz stößt, erkennt die einmalige Gelegenheit, aus der Armut des Tagelöhnerdaseins herauszukommen. Er kann aber nicht einfach den Schatz unter den Arm nehmen und weggehen. Denn nach jüdischem Recht gehört der Schatz dem Besitzer des Grundstückes. Also setzt der Tagelöhner alles auf eine Karte. Er verkauft restlos alles, das bedeutet: er setzt sogar das Lebensnotwendige ein. Er wird also nach dem Verkauf seiner Habe sozusagen auf der Straße gestanden haben. Er wird in den Augen seiner Arbeitskollegen und Nachbarn zunächst einmal als Narr dagestanden haben, als einer, dem es ohnehin schon dreckig ging und der nun aus einer verrückten Laune heraus sich völlig ins Elend stürzte, nur um des seltsamen Ackers willen. Aber der Tagelöhner wusste, was er wollte. Ihm war klar, dass der Schatz nur ihm gehören würde, wenn er alles einsetzte. Der Zufall, den Schatz gefunden zu haben, nützte alleine noch gar nichts. Erst durch den vorbehaltlosen Einsatz aller Habe konnte der Zufall genutzt, konnte der Fund in Besitz verwandelt werden. Der Perlenkaufmann stößt bei seinem systematischen Suchen auf eine besonders kostbare Perle. Diese Perle muss wirklich eine außergewöhnliche Besonderheit gewesen sein. Denn dem Kaufmann bleibt nur eins übrig: er muss sein ganzes Kapital einsetzen, um den Kauf der Perle tätigen zu können. Das wird nicht wenig gewesen sein, denn Kaufleute pflegen im Allgemeinen ziemlich umfangreiche Bankkonten zu haben. Aber es muss dem Kaufmann doch klar gewesen sein, dass sich diese Kaufaktion lohnte, obwohl sie das Geschäft des Mannes bis an die Grenzen des Tragbaren belastete. Auch hier wird es Kollegen gegeben haben, die sagten: der ist völlig verrückt. Wie kann der wegen einer einzigen Perle praktisch seinen Betrieb ruinieren. Beiden, dem Tagelöhner und dem Perleneinkäufer, ist klar: wir müssen die einmalige Chance, die sich hier zu unserem Glück bietet, entschlossen und unter höchstem Einsatz nutzen. Tun wir das nicht, dann ist die Chance vertan. Tatsächlich müssen wir ja auf jedes Angebot, das uns im Leben gemacht wird, die entsprechende Antwort geben. Wenn wir die Antwort nicht geben, wäre das Angebot umsonst gemacht. Der Tagelöhner hätte bei seiner Arbeit über den bloßgelegten Schatz hinweg trampeln können, ohne den Wert dessen zu erkennen, was da vor ihm lag. Der Kaufmann hätte bei den Verhandlungen über den Kauf der Perle Angst vor dem Risiko bekommen können und die Kaufverhandlungen abbrechen können. Beide handeln anders. Beide geben voll Freude alles daran, um das Gefundene in ihren Besitz zu bringen. Nun aber noch einmal zurück zu der Frage: was soll uns das alles heute sagen? Sollen wir auf Schatzsuche gehen? Sollen wir kostbare Schmuckstücke einkaufen? Sollen wir unseren gesamten Besitz verkaufen? Jesus will uns in diesen beiden Gleichnissen sagen: Gott bietet euch das Reich des Himmels als einmalige Gelegenheit an. Ihr könnt es finden. Es ist greifbar. Das Angebot ist gemacht. Nun kommt es auf eure Antwort an. Ihr müsst jetzt diese einmalige Gelegenheit nutzen. Ihr müsst das euch angebotene Reich Gottes unter dem Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten ergreifen. Wer ahnt, was Gott da anbietet, der wird wirklich alles daransetzen. Aber er wird das, was er einsetzt, nicht als Eintrittspreis verstehen. Sondern ihm wird es so gehen, wie dem Tagelöhner und dem Perleneinkäufer ging. Die Freude darüber, das Reich Gottes gefunden zu haben, wird ihn einfach zu der Konsequenz führen, alles daranzusetzen. In unserem Alltagssprachgebrauch werden die Worte „Perle“ und „Schatz“ nicht nur für Schmuckstücke und Töpfe mit Geld aus alten Zeiten gebraucht. Wenn mir heute ein junger Mann von seinem Schatz erzählt, meint er damit ein lebendiges Menschenwesen. Wenn mir heute einer von seiner Perle erzählt, meint er damit einen Menschen, der ihm sehr nahe steht. Perle und Schatz sind Bezeichnungen, die Verliebte für Menschen erfunden haben, in die sie verliebt sind. Verliebte Menschen tun sehr viel füreinander. Menschen, die sich lieben, können ohne zu fragen und ohne zu klagen große Opfer an Zeit und Geld, an Hab und Gut füreinander bringen. Wenn wir spüren, dass hinter den Bildern vom Schatzfinder und Perleneinkäufer das Angebot und die Begegnung mit der grenzenlosen Liebe Gottes steht, dann werden wir begreifen, was alles von uns getan werden müsste, um diese lebendige Liebe Gottes zu finden. In der Sprache der Leute, die sich lieben, gibt es auch das Wort „Himmel“. Wer seinen Schatz, seine Perle gefunden hat, ist im siebten Himmel. Auch hier wird es uns wieder klar, dass es sich bei dem Wort Himmel weniger um eine Sache oder einen Ort handelt. Himmel ist da, wo ich in Liebe dem anderen begegne – Himmel ist da, wo mir Gottes Liebe entgegen strömt und ich mich von dieser Liebe erfassen lasse. Wer seinen Schatz, seine Perle gefunden hat, sieht viele Dinge mit anderen Augen. Wenn ein junger Mann verliebt ist, kann es sein, dass ihm sein bis dahin überaus wichtiges Motorrad gar nichts mehr bedeutet. Wichtig ist ihm jetzt seine Liebe. So werden auch für uns andere Maßstäbe gelten als bisher, wenn wir beginnen, etwas von der Liebe Gottes zu erahnen. Wir werden unseren Alltag mit allem Ernst und allem Einsatz in Angriff nehmen. Aber wir werden uns nicht in den Alltag verlieren – weder in seine Strapazen noch in seine Schönheiten. Wir werden den Tagen, die wir zu bewältigen haben, mit Gelassenheit und Humor gegenüberstehen. Die Welt wird nicht mehr einstürzen, wenn einmal etwas nicht nach unserem Wunsch geht. Wir werden wissen, dass wir mitten im Alltag der Berufsarbeit einen Schatz finden können. Wir werden zielstrebig darauf ausgehen, Gott zu begegnen. Jeder von uns wird seine eigene Weise finden müssen und dürfen, Schatzfinder und Perleneinkäufer zu sein. Wenn wir das versuchen, werden wir mit Freude feststellen, dass wir nicht auf einem langen Marsch zum Himmelstor sind, wobei es noch nicht einmal feststeht, ob wir wirklich hereingelassen werden. Wir werden feststellen, dass wir mitten in unserem Alltag auf das Reich der Liebe Gottes gestoßen sind.
Seneschall Matthias David