HELDEN HEUTE?
Wer fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie gefragt werden, wer für Sie ein Held ist? Mancher denkt an die Heroen der Neuzeit – Nelson Mandela, der ein ganzes politisches Unrechtssystem zum Ende führte, oder ähnliche. Vielleicht nennt man Wilhelm Tell. Einem liebendem Ehemann fällt zu der Frage vielleicht spontan der Name seiner Gattin ein. Einem anderen fallen aus aktuellem Anlass Namen ein wie Edward Snowden, der die Hintergründe der Überwachungstätigkeit der US-Sicherheitsdienste einer Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Oder Bradley Manning, der als junger Soldat kriegerisches Unrecht im Irak ans Licht brachte, das bei Wikileaks publiziert wurde.
All diese Menschen sind durch Taten aufgefallen, die man durchaus als heldenhaft bezeichnen kann, die in der Öffentlichkeit große Wirkungen hatten. Schaut man sie sich diese Helden näher an, kommt man auch wieder an Momente, wo man feststellen muss, dass es auch Zweifelhaftes im Leben dieser Menschen gibt. Bleiben wir allein einmal bei den letzten beiden Namen: Snowden und Manning sind zwar Helden in den Augen derer, die Angst haben vor Internetbespitzelung oder die von begangenem Unrecht im Krieg wissen wollen. viele Amerikaner halten sie jedoch schlichtweg für Verräter. Das juristische Urteil werden die amerikanischen Gerichte fällen, wie aber sieht das moralische oder gesellschaftliche Votum aus? Und wer hat dabei Recht?
HELDEN DES GLAUBENS
An diesem Tag begeht die Kirche das Fest der Apostel Petrus und Paulus. Sie sind zweifelsohne Helden des Glaubens. Petrus, eine der Säulen der Jerusalemer Urgemeinde und Glaubenszeuge bis in den Tod. Paulus, Soldat Gottes, der die Frohe Botschaft rund ums Mittelmeer trug und seine Begeisterung für Christus ebenfalls mit dem Leben bezahlte. Hätten sie nicht für Christus geglüht, wäre die Botschaft vom Heil vermutlich nie bei uns angelangt. Ihrem unermüdlichen Einsatz weit über alle persönlichen Grenzen hinaus verdanken wir das Fundament der Nachfolgegemeinschaft Christi, der Kirche.
VERRÄTER, VERFOLGER
Aber auch diese beiden Helden hatten ganz andere Seiten an sich: Petrus etwa fällt immer wieder dadurch auf, dass er nicht oder nur langsam versteht, was Jesus will. Die größte Panne in seinem Leben aber war sein Verrat an Jesus, als dieser vor seinem Richter stand. Mit aller Heftigkeit machte ein Hahn Petrus darauf aufmerksam, wie schwach dieser Held des Glaubens sein konnte. Und dann Paulus: Ein Eiferer war er ja immer, aber zunächst einmal sehr zum Nachteil der frühen christlichen Gemeinde. “Ihr wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte”, bekennt er. Bis aus dem jüdischen Soldaten des römischen Imperiums ein Kämpfer für Christus wurde, musste der Geist Gottes mit aller Kraft in ihn einfahren und ordentlich rütteln.
PLÄDOYER FÜR EINE KIRCHE MIT MAKELN UND RUNZELN
Die zwei Apostel hatten also sehr wohl ihre Schattenseiten. Die gehören ganz und gar zu ihnen. Wie wirkt das auf unseren Blick auf unsere beiden Helden dieses Festtages? Enttäuschend? Desillusionierend? Ich finde nicht – ganz im Gegenteil: doch eher beruhigend, vielleicht sogar ermutigend. Wir können doch feststellen: Helden des Glaubens – unsere Heiligen – stehen nicht entrückt auf einem Sockel, im fernen Nirgendwo. So dass wir uns überlegen müssen, wo und wie sie unser Leben noch berühren können. Die Heiligen sind Menschen gewesen wie du und ich. Sie hatten ihre Macken – manchmal mehr als eine.
Dass ausgerechnet die beiden Apostelfürsten so gar nicht fehlerfrei sind, verleiht auch dieser Kirche, an der sie mitgebaut haben, so ein freundliches Angesicht. Diese Kirche ist eine Gemeinschaft voller Fehler und voller fehlerhafter Menschen. Welche eine Beruhigung! Diese Kirche ist keine perfekte Gesellschaft im eigentlichen Sinn, wie das schon mal zu anderen Zeiten geheißen hat. Und sie muss es auch nicht sein.
Allerdings: Weder Petrus noch Paulus haben sich auf ihren Schwächen ausgeruht – sie haben aus ihnen das Beste gemacht. Sie haben sich auf den Weg gemacht, um mehr und mehr vom Evangelium zu leben, was sie davon erkannt haben. Und das ist auch uns heute aufgetragen – wie es der verstorbene Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger Schutz, einmal formuliert hat: “Lebt, was ihr vom Evangelium verstanden habt. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebt es.”
WIR ALLE: HELDEN DES GLAUBENS JEDEN TAG
Als Kirche vor Ort sind wir eingeladen, am Reich Gottes in dieser Welt zu bauen mit den Möglichkeiten, die uns gegeben sind. Unsere Schwächen und unsere Begabungen dürfen gleichermaßen leben. Wir sind als Volk Gottes unterwegs – und das heißt auch: Wir sind in Bewegung. Das ist es, was Kirche durch alle Zeiten auszeichnet: dass sie sich bewegt, dass sie es wagt, die Zeiten zu gestalten, dass sie Aufbrüche gestalten will. Wenn der Kirche diese Dynamik verloren geht, wenn sie aufhört, das Salz der Erde oder in der Suppe unserer Zeit zu sein, wird diese Welt ein gehöriges Stück fader, geht ihr die Lebendigkeit verloren. Das gilt für die Kirche in ihren weltumspannenden Bezügen, das gilt aber auch für die Gemeinden vor Ort. Das gilt für jeden Christen.
Am Beispiel der Apostelfürsten sehen wir: Wer etwas wagt, der kann verlieren; schlimmstenfalls, aber wohl eher selten, sogar das Leben. Wer aber gar nichts wagt, wer aufhört, sich zu bewegen, wer in Erstarrung verfällt, der hat schon längst verloren. Oder um es mit den Worten Albert Einsteins auf den Punkt zu bringen: Das Leben ist wie ein Fahrrad: Man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das Beispiel der Apostel Petrus und Paulus möge uns am heutigen Festtag anspornen, mutig und mit Kraft in den Pedalen des Lebens loszuradeln.
Ordensbruder Matthias David, Ordensgeistlicher