Hineingenommen in die Wahrheit Jesu
Wie wichtig ist ein Beistand
Einen Beistand finden – das kann alles zum Guten wenden. Einen Menschen, der zu einem steht, die Treue bewahrt, sich nicht beirren lässt.
Ich denke an den alten Mann, der seine Frau zu Grabe trägt. Nicht, dass so viel zu regeln ist, liegt ihm auf der Seele. Da nimmt ihm das Beerdigungsinstitut viel ab.
Aber so allein den letzten Weg gehen, das macht ihm zu schaffen und tut weh.
Ich denke an die Kollegin, die geschnitten und gemobbt wird. Sie kann sagen, was sie will oder auch gleich den Mund halten -, sie wird ausgegrenzt. Ihr Wunsch nach Blickkontakt, einem freundlichen Wort zwischendurch, wird immer neu enttäuscht.
Am Ende kann sie nur noch funktionieren, aber nicht mehr leben.
Ich denke an einen Angeklagten. Er hat auf seiner Bank Platz genommen. Alles ist fremd. Richter, Staatsanwalt, Zuschauer. Was ist denn Schuld? Was ist Recht?
Die Anklage wird verlesen, Paragraphen genannt, ein Antrag gestellt. Nichts als die Wahrheit, heißt es. Nur: kann ein Mensch die “ganze” Wahrheit kennen?
Einen Beistand finden – das kann alles zum Guten wenden.
Wenn den Jüngern die Worte ausgehen
Haben Sie das Evangelium noch im Ohr? Ein Beistand wird von Jesus verheißen, ein Beistand für die Jünger, die mit ihrem Glauben, ihren Hoffnungen, ihrer Gemeinschaft in harte Auseinandersetzungen geraten werden. Beistand ist ein altes Wort. Beistehen steckt in ihm. Die Jünger sollen nicht alleingelassen sein, sich auch nicht alleingelassen fühlen. Wenn ihnen die Worte ausgehen, die Argumente nicht greifen, die Linien nicht mehr erkennbar sind. Spannend ist, wie in einer langen Geschichte das Wort Beistand Farben bekommen hat: andere Übersetzungen heißen: “Anwalt”, “Fürsprecher”, “Tröster”. Wobei das Wort “Tröster”, in seiner ursprünglichen Bedeutung, die Erfahrung aufbewahrt, dass ein Mensch gehalten, ja, getragen wird.
Wenn wir heute, zu Pfingsten, das Evangelium hören, werden uns auch die Auseinandersetzungen bewusst, in die Christen gestellt werden. Der Glaube hat seine Selbstverständlichkeit, die ihn in früheren Zeiten auszeichnete, verloren. Die, die kirchlich engagiert sind, nehmen die Fremdheit wahr, die für viele Menschen ein Hindernis ist, auch die Kirche wieder neu für sich zu entdecken. Alle modernen Versuche, Anpassungen, Vereinfachungen haben letztlich den langsamen, schleichenden Prozess des Fremdwerdens nicht aufhalten können.
Der Beistand weiß einen neuen Weg
Prozess. Das Wort trifft. Im Regelfall meinen wir zwar: Entwicklungen. Aber Prozess passt besser. Wie in einem Gerichtsverfahren werden Anklagen erhoben: gegen Gott, gegen den Glauben, gegen die Glaubenden. Erwartet wird ein Urteil.
Was ist wahr, was trägt? Vor dem Forum der Vernunft, in der Öffentlichkeit, aber auch im Zwiegespräch wird ein Streit ausgetragen. Und das Evangelium sagt kein Wort dagegen – nur ein Wort dazu: Wenn der Beistand kommt, den ich euch vom
Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.
Was Jesus gesagt und getan hat, fängt wieder zu leuchten an. Wenn der Geist den Blick darauf lenkt, Worte findet und Vertrauen schenkt. Das ist die
Verheißung, die wir heute hören. Ich weiß: am liebsten würden wir alles alleine richten, gut machen, über uns hinauswachsen. Aber nun wird uns ein Beistand zur Seite gegeben, der von Gott kommt, uns in sein Herz schauen lässt und einen neuen Weg für uns weiß.
Das Evangelium neu hören
Was ist, wenn ein Beistand fehlt? Die Auseinandersetzung, die im Evangelium erzählt wird, mahnt, genau hinzusehen. Menschlicher Geschichte nachzugehen, sich ihr auch zu stellen. Denn erzählt wird uns heute auch die Trennung von Synagoge und Kirche, von Juden und Christen – Johannes schaut schon darauf zurück.
Aber diese Geschichte zu erzählen, ist schmerzhaft. Nicht nur, weil die Trennung zu Verwerfungen geführt hat, nein, die Trennung wurde tödlich. Nicht für die Christen; für die Juden. Als sie den gelben Stern tragen mussten, wurden sie alleingelassen. Als die Synagogen brannten, gebot niemand Einhalt. Als sie deportiert und vergast wurden, hatten sie keinen Beistand.
Seit vielen Jahren gibt es das christlich-jüdische Gespräch. Über Abgründe hinweg, haben Menschen entdeckt, dass die “ganze” Wahrheit nicht nur Schuld aufdeckt, sondern auch frei macht. Auch frei macht, das Evangelium neu zu hören.
Wann uns die Wahrheit aufgeht
Was wir von Jesus gehört und gesehen haben, lässt sich nicht in Vergangenheitsform erzählen – nein, das ist lebendig und gegenwärtig, Gewissheit und Hoffnung in einem. Es ist seine Wahrheit, in die wir hineingenommen werden, die Trennungen überbrückt und Mut macht, aus Schatten herauszutreten. Bevor er seine Jünger verließ, versprach er ihnen den Geist, der sie in die Wahrheit, in die “ganze” Wahrheit führt.
Das lässt sich auch ganz einfach sagen: Uns geht die ganze Wahrheit auf, wenn wir, dem Beispiel Jesu folgend, “Beistand” werden, Anwälte, Fürsprecher – und eben auch Tröster, die einen Menschen halten, aufrichten und schützen. Von dem Geist, den Jesus uns verheißt, kann nichts Größeres und Schöneres gesagt werden, als dass er uns Gottes Welt öffnet.
“Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird.”
Sich vom Geist anstecken lassen
Was wird kommen? Aus dem Evangelium kommt eine Sehnsucht, eine Gewissheit, eine Verheißung. Das Bild von Menschen, die sich von Geist Gottes anstecken lassen, füreinander einzutreten, beizustehen und aufzurichten.In einem Pfingstlied hat Paul Gerhardt, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, Worte gefunden, die wir auch heute noch beten können:
“Du bist ein Geist der Liebe, ein Freund der Freundlichkeit, willst nicht, dass uns betrübe Zorn, Zank, Hass, Neid und Streit.
Der Feindschaft bist du feind, willst, dass durch Liebesflammen sich wieder tun zusammen, die voller Zwietracht sind.
Du, Herr, hast selbst in Händen die ganze weite Welt, kannst Menschenherzen wenden, wie dir es wohlgefällt;
so gib doch deine Gnad‘ zu Fried und Liebesbanden, verknüpf in allen Landen, was sich getrennet hat.”
Ich bitte um den Geist Gottes. Seinen Beistand finden – das wendet alles zum Guten.
Und der Friede Gottes, der uns birgt und trägt, bewahre unsre Herzen und Sinne, in Christus Jesus, unserem Herrn.
Ordensgeistlicher Matthias David