Predigtgedanken aus unserer Advendsandacht zum 4. Adventssonntag

GOTT STEHT AUF DER SEITE DER ERNIEDRIGTEN

DAS BILD „MARIA UND ELISABETH“ VON KÄTHE KOLLWITZ, GEMALT 1928

Die Künstlerin Käthe Kollwitz hat im Jahre 1928 die Begegnung der zwei schwangeren Frauen Maria und Elisabeth dargestellt. Dieses Bild hat mich in seiner Einfachheit angesprochen und berührt. Zu sehen sind, wie es für Käthe Kollwitz üblich ist, zwei einfache Frauen, schlicht gekleidet, die einander zugeneigt sind. Ein schwangeres, junges Mädchen vertraut sich einer älteren Frau an. Die ältere Frau umarmt sie. Sie spricht der jüngeren etwas ins Ohr. Schützend, fast vorsichtig tastend, legt sie eine Hand auf ihren Bauch.

Maria und Elisabeth. Was die beiden miteinander gesprochen, worüber sie sich ausgetauscht haben, können wir nur vermuten.

Herkunft/Rechte: Stiftung Christliche Kunst Wittenberg / Foto-Studio Kirsch, Wittenberg [CC BY-NC-SA]

ELISABETH

In der Bibel wird Elisabeth als alte Frau beschrieben, die bisher kinderlos geblieben war. Obwohl mit dem Priester Zacharias verheiratet. war sie in der antiken Gesellschaft als Unfruchtbare Demütigungen ausgesetzt. Und nun, in ihrem hohen Alter, wird sie schwanger. Sicherlich wird sie über die Unmöglichkeit ihrer Schwangerschaft nachgedacht haben, über das Gerede der Leute. Vielleicht hatte sie auch Angst, dass sie ihr Kind nicht mehr lange genug begleiten könne. Eine Problemschwanger-schaft, würde man heute sagen. Erst nach und nach in diesen 5 Monaten, in denen sie zurückgezogen lebte, wird sie sich wohl mit ihrer Schwangerschaft vertraut gemacht haben. Denn tief in ihrem Inneren fühlte sie sich von Gott angeschaut und getragen. „Der Herr hat mir geholfen; er hat in diesen Tagen gnädig auf mich geschaut und mich von der Schande befreit, mit der ich in den Augen der Menschen beladen war“ (Lk 1,125). Es ist zu spüren, dass sie sich trotz der Erniedrigungen, denen sie tagtäglich ausgesetzt war, ihre Würde bewahrt und gelebt hat, wie es in den Augen Gottes gerecht ist.

MARIA

Maria wird beschrieben als junge Frau, die unehelich schwanger geworden ist. In dieser ihrer Unsicherheit sucht sie den Schutz, die Unterstützung, Ermutigung und die Lebenserfahrung der alten Elisabeth. Denn tief in ihrem Innersten traut sie der Zusage des Engels und lebt mit der Gewissheit: Gott ist mit mir.

Von sich selbst sagt sie, sie sei eine Sklavin Gottes und damit ist ausgedrückt, dass sie um die Konsequenzen weiß, die ihr Ja bei der Begegnung mit dem Engel nach sich zieht.

So macht sie sich auf den Weg durch das judäische Bergland zu ihrer Verwandten. Der Weg beträgt, glaubt man den Exegeten, drei bis vier Tage und führt durch nicht ungefährliches Gebiet.

Wer schon einmal in Israel war und die schroffen, kahlen Hügel vor Augen hat, der weiß, dass es sich nicht um einen Spaziergang handelt, den Maria da auf sich genommen hat.

DIE BEGEGNUNG

Elisabeth und Maria begegnen einander in einer Zeit, die für beide kritisch ist. Die eine ist in den letzten 3 Monaten, die andere in den ersten drei Monaten ihrer Schwangerschaft. Maria und Elisabeth teilen mit anderen jüdischen Frauen damals die Erfahrung der Erniedrigung, die Erfahrung von Hunger und Armut. Gemeinsam mit dem ganzen Volk sehnen sie sich nach Befreiung.

Als Maria bei Elisabeth ankommt, begegnen einander zwei Frauen, die beide auf wundersame Weise mit Gott in Kontakt gekommen sind. Die „Alte“ erkennt in der Rückschau die Verheißung „Gott ist gnädig“. Die junge Maria beginnt ihr Frau-Sein mit der Zusage und der Gewissheit: Gott ist mit mir.

Ihrer beider Begegnung bleibt nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern ergreift ihr ganzes Sein, ausgelöst durch die Begegnung der beiden besonderen ungeborenen Kinder Johannes und Jesus. Elisabeth erkennt am Hüpfen des Kindes in ihrem Leib als Erste, dass im Bauch der jungen Maria der Messias heranreift und damit das Reich Gottes seinen Anfang nimmt. „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ In prophetischer Manier proklamiert Elisabeth die Einzigartigkeit Marias: „Gepriesen bist du unter den Frauen … Und selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“ Elisabeth weist damit auf Maria und über sie auf Jesus hin, so wie auch Johannes später auf Jesus hinweisen wird – auf ihn zielt alles ab: die Freude, das Hüpfen, das Leben.

RANDGRUPPEN, FÜR DIE GOTTES HERZ SCHLÄGT

Lukas erzählt uns hier die Geschichte zweier vorerst unbedeutender Frauen aus denen Großes erwächst, gipfelnd im anschließenden Lobpreis der Maria auf einen Gott, der sich den Kleinen zuwendet und Vorausblick auf das Programm des Evangeliums und dessen Verkündigung des Jesus von Nazareth als Retter, der echte Begegnung möglich macht. Wenn Gott im Kommen ist, dann gibt es einen Aufbruch aus der Verängstigung und Demütigung. Die Beiseitegeschobenen, die Erniedrigten erfahren ihr Recht. Nicht die Menschen mit Ansehen und Vermögen kommen in den Blick. Es sind die Randgruppen, für die Gottes Herz schlägt.

Damit bin ich wieder beim Bild der zwei einfachen Frauen. Gott handelt und steht auf der Seite derer, die erniedrigt werden, die hungern, die keinen Zugang zu Macht haben, den „falschen“ Impfstatus besitzen. Gott wählt den kleinen Menschen für seine große Geschichte. Wer zustimmt und seinen Teil übernimmt, schreibt die Heilsgeschichte weiter und gehört zu den Seliggepriesenen, die glauben, dass sich erfüllt, was Gott ihnen sagen ließ.

Ordenskaplan Matthias David