Predigtgedanken zur Fastenzeit

Standortbestimmung auf dem Weg nach Jerusalem

Unterbrechungen im Unterwegssein

Das stärkste Sinnbild für unser Leben ist der Weg. Leben bedeutet Unterwegssein. Für die letzten Lebensjahre Jesu, von denen die Evangelien erzählen, galt das in besonderer Weise wirklich und nicht nur bildlich.

Jesus zieht mit seinen Jüngern durch Galiläa und in die Gegend um den See Genezareth; er verkündet das Reich Gottes und er heilt die Kranken. Dann begibt sich Jesus auf “den Weg hinauf nach Jerusalem”, in die Stadt seines Leidens, seines gewaltsamen Todes und seiner Auferstehung.

Ziemlich am Anfang dieser Weggeschichte nach Jerusalem findet sich die Erzählung von der Verklärung Jesu. Es ist eine Unterbrechung im Unterwegssein, eine Rast während einer Wanderung.

Solche Unterbrechungen der Zeit, der Geschichte, der eigenen Lebensgeschichte kennt jeder von uns. Der Jahreswechsel ist solch eine Unterbrechung, sicher auch ein runder Geburtstag oder ein Jubiläum. Man blickt dann zurück auf das, was bisher war, auf das Schöne und Beglückende, aber auch auf das Schwere und Bedrückende.

Wo stehe ich jetzt? Was ist aus meinen Plänen geworden? Und was liegt noch vor mir? Was ist das Ziel? Und wie weit ist es zu diesem Ziel? Was brauche ich, um ans Ziel zu kommen? Was werde ich noch erleben, was erleiden? Gibt es hinter allem einen letzten, einen alles tragenden Sinn?

Eine Unterbrechung im Weg Jesu

Die Fastenzeit, die österliche Bußzeit, will zu einer derartigen Rast auf dem Lebensweg, zu einer Unterbrechung im Unterwegssein unseres Lebens einladen.

Das heutige Evangelium will uns Christen hineinnehmen in die Unterbrechung des Weges Jesu mit seinen Jüngern hinauf nach Jerusalem im Erleben der Verklärung Jesu.

Jesus nimmt Petrus mit. Kurz davor hatte Petrus auf die erste Ankündigung des Leidens Jesu zu ihm gesagt: “Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht!” (vgl. Mt 16:21 f.) Und Jesus hat darauf äußerst scharf reagiert: “Geh weg von mir, Satan, denn du bist mir ein Ärgernis, du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.” (Mt 16:23) Nun nimmt Jesus diesen Petrus und die beiden Brüder Jakobus und Johannes und “führt sie auf einen hohen Berg.”

Gerade ein Bergerlebnis eignet sich besonders gut als Bild und Gleichnis einer Unterbrechung, als Rückblick, als Standortbestimmung, als Frage nach dem Ziel und dem Sinn des Lebens. Für den gläubigen Juden war zudem mit dem Berg untrennbar die Offenbarung Gottes an Mose sowie das Geschenk der Tora, des Lebensgesetzes Gottes für sein Volk auf dem Berg Sinai verbunden.

Und für den gläubigen Christen ist der Berg zusätzlich verbunden mit der Bergpredigt Jesu, mit der endgültigen Deutung des Lebensgesetzes Gottes für die Menschen. Wenn Jesus die drei Jünger auf einen Berg mitnimmt, so will er damit zuerst auf Gott hinweisen, auf den Glauben an Gott.

Fragen und Suchen nach Gott

Unterbrechung im Unterwegssein, Standortbestimmung des eigenen Lebens hat für mich zuerst mit der Frage nach Gott, mit dem Glauben an ihn zu tun.

Dass ein Blick auf das eigene Leben untrennbar mit dem Glauben an Gott zu tun hat, das war für die Menschen der damaligen Zeit selbstverständlich. Für unsere Zeit gilt das aber keineswegs. Auch die meisten Christen können heute nicht mehr so selbstverständlich von Gott sprechen wie die Christen früherer Generationen.

Für uns Christen in unserer Zeit stellt sich mit neuer Dringlichkeit die Frage nach Gott.

Immer ist unser Sprechen von Gott ein Fragen nach ihm und ein Suchen Gottes.

“Glauben” und eben noch nicht Schauen, Hoffen und eben noch keine Gewissheit.

Gott suchen ist ein Lieben, das gebunden ist an die Schwere und Last, den Menschen zu lieben.

Unterbrechung des Lebensweges als Frage nach Gott. Und dabei erfahre ich:

Gerade im Abstand zu meinem Alltag, in der Unterbrechung des Alltäglichen, des immer schon Gewussten, des immer schon Erlebten, des Gewohnten und Gewöhnlichen erlebe ich einen entscheidenden Hinweis auf Gott in meiner Sehnsucht, die Erde möge mit dem Himmel verbunden sein.

Bleibende Nähe Gottes zu Jesus

Geerdet sei der Himmel und offen möge der Himmel bleiben für die Erde, offen für unseren Blick nach oben und für den Blick in unsere eigene Tiefe, offen für unseren Blick, der jede Grenze durchdringen möchte und nie eine endgültige Grenze erreiche. Berechtigt und sinnvoll sei unsere Sehnsucht, nicht immer nur beim Menschen zu sein und immer und immer nur zu ihm zu gelangen, sondern gerade in der Berechtigung dieser Hoffnung den Menschen, den anderen und mich ertragen zu können.

So oder ähnlich stellt sich für mich die Frage nach Gott, an den ich glaube. Solche und ähnliche Gedanken habe ich, wenn mich Jesus mit auf den Berg nimmt. Für die Jünger, die Jesus mit auf den Berg nahm, war es die Erfahrung, die so erzählt wird: “Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.”

Gott, von dem Jesus durchdrungen ist, scheint auf in der Gestalt Jesu. Die, menschlich gesprochen, größtmögliche Nähe Gottes zum Menschen, eben in

Jesus, wird hier sichtbar, wird erfahren in der Verwandlung, als Sonne, als unerträgliche Fülle des Lichts. Und noch ein anderes Sinnbild für Gott erscheint, die Wolke, die einen Schatten wirft, in den die Jünger hinein genommen sind. Und eine Stimme ruft aus der Wolke: “Das ist mein geliebter Sohn auf ihn sollt ihr hören.”

Die Verklärungsgeschichte will eine Standortbestimmung Jesu für seine Jünger auf dem Weg hinauf nach Jerusalem sein. Die Verwandlung Jesu im Licht zeigt den Jüngern, den Glaubenden, die absolute Nähe Gottes zu Jesus, der unterwegs ist in die Stadt des Leidens und des gewaltsamen Todes – die absolute, bleibende Nähe Gottes zu Jesus bis in den Tod, aus dem ihn Gott errettet, wird hier bezeugt.

So wird die Verklärung Jesu Hinweis auf seine Auferstehung.

Ein alles tragender und erfüllender Sinn

Fragen wir zum Schluss noch nach der Verklärungsgeschichte als Standortbestimmung für uns Christen in unserer Zeit. Für mich ist es zuerst die bleibende Frage nach Gott, die Sehnsucht nach ihm. Im Sinnbild ausgedrückt: Himmel und Erde mögen verbunden sein. Oder: Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, nach Gott, im Ur-Eigenen, im Menschen.

Gott im Menschen – Gott und Mensch untrennbar verbunden und dennoch, je eigen bleibend, unvermischt. Das bekennt der Glaube von Jesus Christus. In ihm hat sich Gott unwiderruflich auf jeden Menschen eingelassen, hat Gott sich verbunden mit seiner Schöpfung.

Die Verwandlung Jesu im Licht – die Stimme aus der Wolke, in deren Schatten wir hinein genommen sind: “Dies ist mein geliebter Sohn. Ihn sollt ihr hören.” Dies bedeutet: Er ist die letzte, die ganze Schöpfung umfassende Zu-Sage Gottes. In ihm sagt Gott zu jedem einzelnen: Du bist mein geliebter Sohn! Du bist meine geliebte Tochter.

Verwandlung Jesu im Licht ist für mich im Glauben an Jesus Christus Sinnbild dafür: Hinter der Vordergründigkeit unserer Wirklichkeit gibt es einen alles tragenden und erfüllenden Sinn. Jede Dunkelheit verweist mich im Glauben auf ein tieferes Licht. Meine Sehnsucht nach Leben über alle Grenzen hinaus läuft nicht ins Leere, ins Nichts.

Erfahrungen erfüllter Sehnsucht

Jedes Aufscheinen des Lichts, jede Erfahrung der Höhe in meinem Leben verweist mich auf die noch bleibende Notwendigkeit des Weges und ermutigt mich auf diesem Weg im Dunkeln und in der Tiefe, auf diesem Weg nach Jerusalem, dessen Ziel aber nicht das Leid und der Tod ist, sondern die Herrlichkeit mit Christus bei Gott, die Verwandlung, unsere Verklärung mit dem geliebten Sohn Gottes als geliebte Söhne und Töchter Gottes, unseres Vaters.

Standortbestimmung auf unserem Lebensweg als Frage nach Gott in unserer Sehnsucht nach ihm. Und die Antwort Gottes in Jesus Christus, an den wir glauben. Und auch in unserem Leben im Glauben gibt es Momente, Erfahrungen des Schauens, Erfahrungen erfüllter Sehnsucht, Augenblicke des Glücks.

Noch ist unser Leben Weg der Sehnsucht und des Glaubens. Er, zu dem wir unterwegs sind, ist bereits bei uns angekommen. Wir sind eingeladen, das Brot, das er segnet und bricht und uns gibt, zu essen, ihn zu erkennen, auch wenn wir ihn noch nicht sehen. Wir sind eingeladen zum Mahl bleibender und erfüllter Sehnsucht.

Ordensgeistlicher und Diakon Matthias