Seit heute feiern wir die Gottesdienste vor dem verhüllten Kreuz. Ursprünglich hat man nur prunkvolle Kreuze abgedeckt, um den Blick auf den Leidenden zu lenken.
Dieser Brauch zeigt an, was Fastenzeit will: Mit Blick auf das Leiden Jesu seine Einladung annehmen. Seine Einladung ist die zu Frieden und Ehrlichkeit untereinander. Wer weiß, dass er selbst auf Barmherzigkeit angewiesen ist, sollte sich für jeden freuen, der sie auch erfährt.
Und sein Umgang mit diesem Thema war das Maß der Liebe, das die Passionslieder besingen.
(Predigtgedanken zum 5. Fastensonntag: Joh 8:1-11; Jes 43:16-21; Phil 3:8-14)
Die Erzählung von der Ehebrecherin, die Jesus vor der Steinigung bewahrt, hören wir gerne. Aber wie kann es danach weitergehen? Versöhnungspraxis geht über das Vergeben und Buße tun hinaus. Wir müssen lernen, mit menschlichem Versagen zu leben.
AUCH COMPUTER MACHEN FEHLER
Dass Computer nicht immer das tun, was Bediener von ihnen erwarten, ist leidlich bekannt. Häufiger sitzt allerdings der Fehler vor dem Computer und nicht im Computer, behaupten die Administratoren. Wir erwarten von der Technik, dass sie uns hilft, menschliches Fehlverhalten zu minimieren. Ganz gelingt das nicht, wie der Absturz von nagelneuen Flugzeugen in letzter Zeit uns in Erinnerung gebracht hat. Falsch programmierte Software habe zu den katastrophalen Unfällen geführt.
Dass Menschen Fehler machen, meist ungewollt oft aber auch gewollt, damit müssen wir leben. Auch höhere Strafen und „Null-Toleranz“ können nicht verhindern, dass Menschen Dinge tun, die ihnen selbst, andere und auch der Gesellschaft schaden. Wir müssen auch damit leben, dass wir selbst Fehler machen. Sogar gut Gemeintes kann unter Umständen zum Gegenteil von Gutem werden.
Den Schriftgelehrten und Pharisäern, die Jesus mit einer Stellungnahme zu einem konkreten Fall von Ehebruch in Verlegenheit bringen wollten, hielt er entgegen: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Ein Wort, das auch heute allen gesagt werden muss, die versucht sind, das Recht selbst in die Hand zu nehmen, aber auch jenen, die sich über die Unmoral der anderen ereifern.
UNKRAUT IM WEIZEN
Wir leben in einem ständigen Spagat zwischen ethischen Idealen und menschlichen Schwächen und Fehlern. Gerne stellen wir uns auf die Seite Jesu, der die Frau vor dem gewaltsamen Zugriff der sie Verurteilenden rettet. Die größere Herausforderung für uns beginnt aber erst nach dem „Auch ich verurteile dich nicht“. Es sagt sich leicht: „Gehe und sündige fortan nicht mehr!“
Die meisten Menschen versuchen, die Fehler, die sie einsehen, nicht mehr zu begehen. Aber wer kennt nicht, was der Apostel Paulus mit den Worten beschreibt: „Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich.“ (Röm 7,18-19). Da hilft meist auch kein eifriges Beichten. Jesus fasst dieses Dilemma im Gleichnis vom Unkraut im Weizen zusammen; (Mt 13,24-30). Mit der Gegebenheit, dass zusammen mit dem Guten, das wir wollen, auch Böses gedeiht, müssen wir leben, ohne das Ringen um das Gute aufzugeben.
EINE GESELLSCHAFT VON SÜNDERN …
Ich lade Sie ein zu überlegen, wie Sie sich die Fortsetzung der Geschichte dieser Frau vorstellen können. Wo wird sie hingegangen sein? Zum betrogenen Ehemann? Zum Freund? In die Herkunftsfamilie? Für die damalige Zeit ist das alles schwer vorstellbar.
Mit Jesus zogen eine Reihe von Personen mit angeschlagenem Leumund (vgl. Lk 8,1-3). Was müssen das für Männer und Frauen gewesen sein, die ihre Familien verlassen haben und mit Jesus umhergezogen sind! Matthäus war Zöllner, andere gehörten vorher Gruppen von Aufständischen an. Von den genannten Frauen heißt es, dass Jesus sie von bösen Geistern und Krankheiten geheilt habe. Diese seltsame Gesellschaft Jesu versuchte, die Gesellschaft zu verändern. Sie lebten die Ideale, die Jesus gepredigt hat. Nicht immer gelang es ihnen. Die Apostelgeschichte weiß davon zu erzählen (vgl. Apg 5,1ff: Hannanias und Saphira). Hohe Ideale verleiten zur Scheinheiligkeit.
Die Kirche ist auch heute nicht eine Gemeinschaft von Fehlerlosen. Zu allen Zeiten war und ist sie gefordert, mit menschlichem Versagen zu leben. Das bringt enorme Spannungen mit sich und ein großes Konfliktpotential: Wie christlich umgehen mit Menschen, denen die christlichen Ideale zu hoch sind, die daran gescheitert oder zerbrochen sind? Mit Priestern, die nicht mit dem einst gelobten Zölibat zurechtkommen, mit Menschen, deren Ehe zerbrochen ist, mit Menschen, die ihre Familie im Stich gelassen haben, mit Menschen, die Unmündige missbraucht haben, mit Menschen, die sich am öffentlichen Gut bereichert haben oder mit Straftätern, die in den gesellschaftlichen Alltag zurückkehren wollen?
KONKRETE PRAXIS DER VERSÖHNUNG
Ich fürchte, wir haben es uns mit der Beicht- und Bußpraxis in den vergangenen Jahrzehnten oft zu einfach gemacht. Mit der Lossprechung allein ist noch nicht viel getan, auch nicht mit dem einen oder anderen Bußwerk. Auch hartes Durchgreifen und „Null-Toleranz“ lösen das Problem nicht. Der Apostel Paulus fordert in seinem Brief an die Galater (6,2): „Einer trage des anderen Last.“ Die eigenen Unvollkommenheiten und die Schwächen der Mitmenschen zu ertragen und mit ihnen gut umgehen zu lernen ist ein unverzichtbarer Teil christlicher Versöhnungspraxis. Amen.
Seneschall Matthias David