(Predigtgedanken zum 11. So.i.Jkr. / 3. So.n.Trinitatis; Mk 4: 26-34, Ez 17:22-24, 2 Kor 5:6-10)
Wir brauchen heute mehr denn je Ermutigung zum Leben, Hoffnung auf eine gute Zukunft. Und genau damit sind wir in der Mitte der Botschaft Jesu.
“Gott ist mitten in eurem Leben als der Gott des Lebens, glaubt daran, lasst euch darauf ein und ihr werdet erfahren, welche heilenden Kräfte in euch freigesetzt werden.” So könnte man die Botschaft Jesu zusammenfassen. Und er selbst hat diese Botschaft nicht nur verkündet, sondern voll und ganz gelebt.
Das meint Jesus, wenn er vom Reich Gottes spricht. Reich Gottes, das heißt: Gott ist mitten in unserer Welt, in unserem Leben. Und der Gott des Lebens überwindet die Macht des Todes. Es gibt eine von Gott gewirkte gute Zukunft, die jetzt schon begonnen hat.
In zwei Bildern aus der Erfahrungswelt der damaligen Zeit verdeutlicht Jesus im heutigen Text, was es um das Reich Gottes ist. Mit dem ersten Bild will Jesus sagen: Gottes Wirken setzt sich unwiderruflich und lautlos durch, wie der ausgesäte Samen zur Frucht und Ernte heranreift. Diese Aussage Jesu über das Wirken Gottes entlastet und befreit mich von der in allen Lebensbereichen gerade heute geforderten Veränderung und Verbesserung, Qualitätskontrolle und Leistungssteigerung.
Diese Zusage Jesu über das endgültiges Leben schaffende Wirken Gottes befreit mich von dem mir ständig eingeredeten schlechten Gewissen, doch nicht dem heute Geforderten zu entsprechen. Überall, sei es im Zusammenleben der Menschen, sei es in der Arbeitswelt und im gesamten Bereich der Wirtschaft, sei es in der Politik oder in der Verwaltung, überall, nicht zuletzt auch in der Kirche heißt es, wir müssen unser Denken und unser Verhalten grundlegend verändern, wir müssen unseren Einsatz optimieren und unsere Leistung steigern, wenn wir weiter bestehen und unsere Aufgaben erfüllen wollen.
Und wenn man in diesem Zusammenhang auf die Sprache achtet, ist man erstaunt und entsetzt, dass sich in allen Bereichen die Sprache der Wirtschaft und der Finanzwelt durchsetzt. Da ist nur noch vom Produkt und von den Ressourcen, vom Kunden und von Akzeptanz, von Innovation und Flexibilität, von Vernetzung und Globalisierung, von Stabilisierung und Destabilisierung, von Effektivität und Optimierung die Rede. Dies geht so weit, dass man statt vom speziellen Wert des Menschen für die Gesellschaft nun vom Human-Kapital spricht.
In allen gesellschaftlichen Bereichen, in Erziehung und Bildung, in der Kultur und in der Forschung und immer mehr auch in Religion und Kirche denkt und spricht und beginnt dann auch so zu handeln, wie man in der Wirtschafts- und Finanzwelt denkt und spricht und handelt … Vielleicht und hoffentlich übertreibe ich hier. Aber in diese einseitig und ausschließlich auf die Leistung des Menschen setzende “Richtung”, ja Festlegung unseres Lebens geht es in unserer Gesellschaft.
Und dagegen setzt Jesus den Hinweis auf das vorrangige und entscheidende Wirken Gottes mitten in den Gegebenheiten von Natur und menschlichem Leben: Da sät ein Bauer, wie er es Jahr für Jahr getan hat und tut, Samen auf den Acker, und in dem natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht, von Schlaf und Arbeit entfaltet sich die Kraft des Samens in der Erde: “Der Samen keimt und wächst, der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht…”
Wie hier das Entscheidende eben nicht vom Bauern getan wird, jedenfalls in der damaligen Erfahrung, so wirkt nicht der Mensch, sondern allein Gott für das für das Leben über den Tod hinaus Entscheidende. Das wollte und will Jesus sagen.
Uns mag es heute schwer fallen, in der Verinnerlichung eines solchen Bildes und Gleichnisses aus der Natur, sich auf die Aussage vom Wirken Gottes in unserer Welt und im eigenen Leben einzulassen. Wir wissen eben heute, wie der Samen keimt und wächst, wenn wir da auch längst nicht alles wissen. Wir wissen heute auch, dass die Erde keineswegs von selbst fruchtbar ist, sondern dass diese Fruchtbarkeit nicht zuletzt vom menschlichen Umgang mit der Erde abhängt. Mag sein, dass das Bild von der selbstwachsenden Saat bei sehr vielen von uns nicht mehr als Hinweis auf Gottes Wirken seine heilende Kraft entfalten kann.
Die den Menschen entlastende und befreiende Zusage Jesu: Gott wirkt mitten in eurer Welt, in deinem Leben, das Leben das stärker ist als der Tod, diese Zusage bleibt. Und es bleibt das Angebot an jeden von uns, diese Zusage im Glauben anzunehmen oder, aus welchen Gründen auch immer, abzulehnen.
Für mich gehört dieses Bild von der selbst wachsenden Saat als Gleichnis für das Wirken Gottes in unserer Welt und im Leben der Menschen zu den besonders wichtigen und kostbaren Stellen der Bibel.
Gerade in dem heute weitgehend notwendigen Leistungs-Wettbewerb ist gerade und vor allem der Glaube an das “Zuvor” Gottes, an sein Leben schaffendes Wirken “mitten darin” und das alles Rettende “Zuletzt” Gottes, für mich ist dieser Glaube befreiend und lebensnotwendig, um an unserer Welt nicht zu verzweifeln, um einen alles tragenden Sinn in meinem Leben zu sehen und eine alles bergende Zuversicht für die Zukunft zu haben.
Vom Glauben als Vertrauen spricht dieses Gleichnis und von der Geduld.
Wahrscheinlich gehört gerade die Geduld in unserer Zeit zu den notwendigsten Tugenden. In einer Zeit, in der man meint, alles zu jeder Zeit möglichst schnell haben zu müssen, in einer rastlosen Zeit des schnellen Wechsels und der optimalen Anpassungsfähigkeit, in einer solchen Zeit ist der Hinweis, dass Leben Zeit voraussetzendes und Zeit schenkendes Wachsen und Reifen bedeutet, besonders wichtig; gerade in solcher Zeit bedeutet Glauben vor allem, sich auf Gott, auf seine Unbegreiflichkeit einzulassen, bedeutet Zeit, Geduld haben, weil Gott sich Zeit nimmt und unbegreiflich bleibt.
Das absolut freie Wirken Gottes schließt keineswegs das Tun des Menschen aus, sondern befreit uns zu unserem verantwortlichen Tun. Darauf weist Jesus mit seinem Hinweis auf die Ernte der reifen Frucht. Ernte bedeutet in der Bibel immer auch abschließendes Gericht, wie Paulus es in der heutigen Lesung sagt: “Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.” (2 Kor 5:10)
Das absolute Zuvor Gottes, sein alltägliches Wirken in meinem Leben, befreit mich vom Zwang der Selbstrechtfertigung in meiner Leistung zur Freiheit, das Gute zu tun; Gottes unbegreifliches Wirken befreit mich zur Freiheit der Liebe.
Diese Liebe reift zur Ernte erfüllten und endgültigen Lebens.
Unter welcher Erfahrung, in welchem Bild und Gleichnis heutigen Lebens ich mich im Glauben an diese Zusage Gottes einlasse, das mag verschieden und deswegen auch nicht so wichtig sein; wichtig ist, dass ich mich in meinem Leben mit allem, was dazu gehört aus der Vergangenheit, in der Gegenwart und auf die Zukunft hin, dass ich mich mit meinem Leben in Geduld darauf verlasse: Gott ist als der Gott des Lebens unbegreiflich liebend in meinem Leben, in seiner, in unserer Welt.
Seneschall Matthias David