VOM HL. GEIST FORMEN UND LEITEN LASSEN

(Predigtgedanken zum 2. Sonntag im Jahreskreis – Joh 1:29 – 34)

EIN MENSCHHEITSTRAUM

Der römische Dichter Ovid erzählt in seinen Metamorphosen von einem begnadeten Bildhauer namens Pygmalion. Er war von einem so hohen Schönheitsideal beseelt, dass keine Frau aus Fleisch und Blut seinen Vorstellungen genügen konnte. Er schuf sich ein Frauenbildnis aus Marmor, das seinem Wunschtraum entsprach und verliebte sich unsterblich in die von ihm geschaffene Statue. In seiner Not flehte er Aphrodite, die Göttin der Liebe, an. Diese erhörte ihn und ließ das Frauenbildnis lebendig werden…
In dieser Geschichte wird der Wunschtraum vieler Menschen beschrieben, sich die eigene Partnerin, den eigenen Partner nach dem eigenen Idealbild zu formen. Meist ist dieser Wunsch mit der Vorstellung verbunden, dass dem gemeinsamen Glück nichts mehr im Wege steht, sobald das Idealbild erreicht ist. Nicht nur Liebes- und Ehepartner sind dieser Versuchung ausgesetzt, Auch Eltern möchten manches Mal ihre Kinder nach ihren Vorstellungen formen, oder Lehrer ihre Schüler. Leider, bzw. Gott sei Dank, funktioniert das nicht so einfach, wie wir alle wissen. Zum Menschen gehört auch die Freiheit, das eigene Leben selbst zu gestalten und zu verantworten.

WIE GOTT DIE MENSCHEN FORMT

Im Evangelium haben wir heute und auch schon am vergangenen Sonntag von Vorgängen rund um die Taufe Jesu gehört. Der Täufer Johannes bezeugt, er habe gesehen, wie der Heilige Geist in der Gestalt einer Taube auf Jesus herab kam und auf ihm blieb.
In allen vier Evangelien steht am Anfang der Jesus-Geschichte eine solche Erfahrung des heiligen Geistes. Der Geist führt Jesus zum Fasten in die Wüste. Der Geist treibt Jesus, als Prophet und Lehrer die Frohe Botschaft zu verkünden. Der Geist ist die treibende Kraft, die ihn hinauf nach Jerusalem führt. Nach seinem Tod und seiner Auferstehung begegnen wir diesem Geist wieder im Pfingstereignis. Dort kommt er auf die Jünger herab und führt sie in die Welt hinaus, damit sie allen Menschen erzählen, was sie gehört, gesehen und mit Jesus erlebt haben.
Im Sakrament der Taufe und im Sakrament der Firmung bzw. Konfirmation wird jeder einzelne Christ vom Hl. Geist erfüllt und ins Leben hinaus gesandt. Das Erfülltwerden vom Hl. Geist ist die Art und Weise, wie Gott den Menschen gestaltet und formt. Dabei stülpt er dem Menschen nicht seine Vorstellung vom Guten, Schönen und Wahren über, sondern vertraut dem inneren Antrieb des Geistes, der den Menschen zu dem führt, was für ihn gut und richtig ist.

DER WEG JESU

An Jesus selbst können wir den Weg beobachten, den der Geist Gottes führt. Zunächst wächst Jesus auf wie wohl die meisten anderen junge Leute in seinem Volk. Bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr hören wir kaum etwas von ihm. Was er vor seiner Taufe und Sendung erlebte, können wir nur aus Randbemerkungen der Evangelien erschließen. Es gibt Anzeichen, dass er sich wie viele junge Menschen in seiner Umgebung umgesehen und nach einer stimmigen Lebensform gesucht hat. Mit Sicherheit hat er sich mit den religiösen Bewegungen seiner Zeit auseinandergesetzt. Mit den Pharisäern und den Sadduzäern; er weiß, was sie denken und lehren. Vermutlich hat er auch die Lebensweise und die Anschauungen der Essener, die um Qumran am Toten Meer lebten, kennen gelernt. In seinem späteren Freundeskreis finden wir Männer, die offenbar aus dem damaligen politischen Untergrund kamen. Ihr Denken war ihm vertraut.
Die Begegnung mit Johannes dem Täufer und den Menschen, die ihm gefolgt sind, dürfte für seine persönliche Entwicklung besonders wichtig gewesen sein. Wie viele andere ließ er sich von Johannes taufen. Die Taufe dürfte für ihn ein ganz wichtiger Einschnitt gewesen sein. Von da an geht er bestimmt und zielgerichtet seinen eigenen Weg. Er verkündet seine eigene Lehre, die mit den Meinungen der anderen religiösen Bewegungen zwar Berührungspunkte hat, sich aber mit keiner deckt.

SICH VOM HL. GEIST FORMEN UND LEITEN LASSEN

Die Erinnerung an unsere eigene Taufe und an die Firmung/Konfirmation ist Anlass, darüber nachzudenken, in welcher Weise wir uns vom Hl. Geist formen und leiten lassen. Das Beispiel Jesu ermutigt uns, dass wir uns mit den Strömungen und den Geisteshaltungen, die uns in unserer Zeit begegnen, auseinandersetzen; nach dem Motto des Apostel Paulus: „Prüft alles, das Gute behaltet!“ (1 Thess 5,21).
Allzu leicht neigen wir dazu, unser Leben nach dem Zeitgeist zu gestalten. Wenn etwas alle tun, dann denken wir nicht mehr weiter nach und meinen: So falsch kann es schon nicht sein. Erst vor wenigen Wochen, forderten Jugendliche in einer Diskussion, die ich in meiner Gemeinde geführt habe, die Kirche müsse in vielen Bereichen „zeitgemäßer“ werden, damit sie bei ihnen punkten könne. Andere wieder fragen ängstlich „darf ich das?“. Sie folgen oft unreflektiert einem Geist des Gesetzes. Ich wünsche mir weder eine ängstliche noch eine zeitgeistige Kirche, sondern Christen, die sich mutig umsehen und fragen: Ist das oder jenes gut für mich, für die anderen, für alle Menschen?
Ich teile mit vielen Christen die Meinung, dass auch in der Kirche nicht alles so bleiben muss, wie es in der Vergangenheit war oder durch Jahrhunderte hindurch für das Beste gehalten wurde. Die Welt in die wir hineingeboren wurden und in der wir uns bewegen, ändert sich in vielerlei Hinsicht. Ich vertraue darauf, dass uns der Heilige Geist leitet und das Richtige für die Gegenwart und für die Zukunft finden lässt. Ich glaube, dass die ganze Schöpfung vom Geist Gottes hervorgebracht wurde, und dass sich dieser Geist auch in den Gesetzmäßigkeiten der Schöpfung enthalten ist. Auch bin ich überzeugt, dass die Überlieferung der Kirche und die Heilige Schrift in ihrer Tiefe eine Weisheit weiter trägt, die vom Geist Gottes gewirkt ist.
In den Sakramenten haben wir die Zusage, dass dieser Geist auch in uns wirkt, dass er uns führt und leitet. Jesus hat, von diesem Geist angetrieben, seine Sendung gelebt und verwirklicht. Auch uns wird der Hl. Geist unsere Berufung und unsere Lebensform finden lassen. Auch wir haben die Zusage, Gottes geliebte Töchter und Söhne zu sein, frei, unser Leben zu gestalten.

Amen

Seneschall Matthias David