(Predigtgedanken zum 1. Fastensonntag Mt 4: 1 – 11)
DIE GROSSE CHANCE ODER NUR EINE VERSUCHUNG
Talenteshows wie „die große Chance” oder „Deutschland sucht den Superstar” erfreuen sich immer wieder großer Beliebtheit. Der Traum von einer große Karriere beflügelt viele Menschen. Der Wunsch, auf irgendeine Weise das große Los zu ziehen, lässt sich gut nachvollziehen. Ob jemand wirklich dauerhaft das große Los gezogen hat, stellt sich oft erst nach Jahren heraus. Manche einmalige Chance entpuppt sich als misslungener Versuch oder gar als Versuchung, der man besser nicht nachgegeben hätte.
Im Evangelium wurde uns von den Versuchungen Jesu erzählt. Die Versuchungen, denen er im Laufe seines Lebens ausgesetzt war, zeigten sich zunächst auch als einmalige Chance, die nicht so schnell wiederkommt.
Nach der wunderbaren Brotvermehrung, so erzählt Johannes, hätte das Volk ihn gerne zu ihrem König gemacht. Jesus wies dieses Ansinnen zurück, da er mehr wollte. Den Tempelkult zu reformieren, Jerusalem von neuem zum religiösen Mittelpunkt der damaligen Welt zu machen, wäre in den Augen vieler durchaus einen Versuch wert gewesen. Und sie hätten es Jesus zugetraut. Das war aber nicht das Seine. Als Messias eine politische Karriere zu machen, lag gleichsam in der Luft. Viele warteten darauf. Jesus hat auch das zurückgewiesen und abgelehnt. Nicht wenige zogen sich enttäuscht von ihm zurück.
All diese Möglichkeiten hat der Evangelist in einer eindrucksvollen Erzählung zusammengefasst. Er stellt uns Jesus vor als einen, der genauso Versuchungen ausgesetzt war wie jeder Mensch im Laufe seines Lebens.
KOLLEKTIVE VERSUCHUNGEN
Die Versuchungen Jesu haben sich in der Geschichte des Christentums auch auf kollektiver Ebene mehrfach wiederholt.
Religion ohne politische Macht war für viele Generationen von Christen unvorstellbar und brachte viele Spielarten hervor bis hin zur Errichtung eines Kirchenstaates.
Religion als moralische und spirituelle Macht galt vielen als Vision, nachdem das Zusammenspiel mit den politischen Kräften nicht mehr so glatt funktionierte. Das moralische Versagen prominenter Exponenten und der Verlust an Marktanteilen auf dem Markt der Spiritualitäten lässt auch diese Variante als fragwürdige Option erscheinen.
Gut unterwegs und angesehen sind Christen, was ihr caritatives Engagement betrifft. Gleichwohl müssen wir uns dabei bewusst sein, dass uns auf lange Sicht der Atem ausgeht, wenn der Dienst an den Armen und Hungernden nicht von einer tiefer gehenden Geisteshaltung getragen ist.
PERSÖNLICHE VERSUCHUNGEN
Die Versuchungen, die uns von Jesus erzählt werden, sind auch unsere Versuchungen; sowohl im Hinblick auf die Kirche als ganzer wie auch im Hinblick auf jeden einzelnen Christen.
Der Versuchung, den anderen zu zeigen, wer das letzte Wort hat, sind nicht nur Kleriker ausgesetzt. Wenn es in einer Gemeinde nicht so läuft, wie sich der einzelne das vorstellt, ist es weitgehend üblich geworden, mit den Füßen abzustimmen. Man geht anderswohin oder kommt gar nicht mehr.
Eine andere Versuchung besteht darin, sich auf eine persönliche Frömmigkeit zurückzuziehen. Sofern sich die Gelegenheit dazu ergibt, verbündet man sich mit anderen, die eine ähnliche Spiritualität pflegen, oder man legt sich seine eigene Praxis zurecht.
Auch die Vorstellung, es genüge, „ein guter Mensch“ zu sein – was immer der einzelne sich darunter vorstellt – führt an wesentlichen Punkten vorbei, die Jesus selbst und in der kirchlichen Tradition wichtig waren.
AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM WORT GOTTES
Die drei Versuchungen Jesu können als exemplarisch gelten für Versuchungen, denen auch wir als Einzelne und als Gemeinschaft ausgesetzt sind.
Besondere Aufmerksamkeit verdient an dieser biblischen Erzählung, wie Jesus mit den Versuchungen umgeht und wie er den Versucher zurückweist. Jesus argumentiert jedes Mal mit einem Wort aus den Heiligen Schriften. Das macht die Sache nicht einfacher, denn mit Bibelsprüchen kann man fast alles begründen. Auch sein Widersacher führt sie geschickt im Mund.
Wir müssen uns vor Augen halten, dass diese Auseinandersetzung mit dem Versucher nach vierzig Tage Wüstenexerzitien stattfindet. Es war eine Zeit der Klärung und des Abwägens, der geistigen Auseinandersetzung mit der Überlieferung seines Volkes und deren unterschiedlicher Auslegung. Es war eine Zeit des Fragens: Was bedeutet das Wort Gottes für mich heute? Was will Gott von mir heute?
AUF DAS WORT GOTTES HÖREN LERNEN
Jedes Jahr werden wir in der Zeit vor Ostern eingeladen, vierzig Tage der Besinnung zu halten, alle Ablenkungen zu vermeiden, uns in einem gesunden Lebensstil, sprich Fasten, selbst zu disziplinieren und uns dabei zu fragen: Was will Gott von mir heute?
Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche diesbezüglich einen reichen Schatz an Hilfsprogrammen und Übungen gesammelt. Diese werden in der Fastenzeit auf vielfältige Weise als Hilfe angeboten. Und das ist gut so. Vielfach muss richtiges Fasten erst neu gelernt werden.
Was wir dabei aber unbedingt von der Fastenpraxis Jesu mitnehmen sollten, ist die Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift. Wir sind nicht die ersten, die Versuchungen ausgesetzt sind. Versuchungen gibt es, seit es Menschen gibt, denn jeder/jede liebäugelt mit einer großen Chance. Die Heiligen Schriften erzählen, wie die Menschen vor uns damit umgegangen sind, was sie daraus gelernt haben, wie sie den Willen Gottes erkannt haben. Die täglichen Schriftlesungen, die uns die Liturgie der Fastenzeit anbietet, können ein starkes Programm dafür sein. Auf diese Weise gerüstet, werden wir in den Versuchungen unseres Lebens gut entscheiden können.