Altjahresabend – Predigt von Obr. Jens Gillner

Unser Ordensmitglied  und Postulant Jens Gillner ist Pastor in einer Gemeinde in Northeim. Aus seiner Predigt zum ausgehenden Jahr dürfen wir dieses Jahr zu unseren Neujahrgrüßen zitieren.

Die Ordensregierung wünscht allen Mitgliedern, Freunden und Förderern des Deutschen Tempelherrenordens einen erfolgreichen Start in das Jahr 2019. Auf Wiedersehen zu vielen neuen Veranstaltungen.

Predigt am Altjahresabend – Jes 51,4–6

31. Dezember 2018 – P. Dr. Jens Gillner – Corvinus/Northeim

Gnade von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Mitglieder, Freunde und Förderer,
alle Jahre wieder – die Jahresrückblicke. Wie war das Jahr 2018? Darüber nachzudenken, wie es für Euch persönlich war, haben wir uns die Zeit gerade schon genommen. Vielleicht habt Ihr aber auch schon vorher Fotos angeschaut oder wichtige Briefe, die Ihr im letzten Jahr bekommen habt, noch einmal gelesen. Seid Eure Tagebucheintragungen noch einmal durchgegangen.

Was ist sonst so gewesen in unserem Land? In der Welt? Welche berühmten Leute sind verstorben? Besondere Begebenheiten, kleine Wunder? Vor allem natürlich: Katastrophen. Solche, mit denen zu rechnen war, und solche, die aus heiterem Himmel kamen. Was waren Eure „Schlagzeilen des Jahres“? Hier ein paar Erinnerungen:
Paul Bocuse, der Starkoch, ist im Alter von 91 Jahren verstorben; ebenso Stephen Hawking und der Schriftsteller Philip Roth, die Sängerin Aretha Franklin, Dieter Thomas Heck und der ehemalige US-Präsident George Bush sen.

Wir haben mitgefiebert, als Jugendliche in Thailand in einer Höhle eingeschlossen waren und erst nach zwei Wochen befreit werden konnten – unversehrt! Wir haben über unsere Fußball-Nationalmannschaft geschimpft, als sie bei der diesjährigen WM bereits in der Vorrunde rausflog. Der extrem trockene Sommer hat Missernten beim Getreide eingefahren, uns dafür aber Rekorderträge beim Obst beschert.

Wir hatten schwierige Koalitionsverhandlungen bei der Regierungsbildung, einen Amoklauf in Florida, bei dem 17 Menschen ums Leben kamen. Angela Merkel wurde zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt. Wladimir Putin erhielt sein Mandat für weitere sechs Jahre. Erstes Treffen des südkoreanischen Präsidenten mit dem nordkoreanischen „Führer“. Auf Schloss Windsor heiratet Prinz Harry die US-Schauspielerin Meghan Markle. In Saudi-Arabien wird das Autofahrverbot für Frauen aufgehoben. Das israelische Parlament verabschiedet ein Gesetz, das Israel als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ definiert. Erschrocken haben uns die rechtsradikalen Hetzjagden in Chemnitz. Und der Terror in jedweder Art hat uns auch im letzten Jahr in Atem gehalten.

Wie wir nun in das Jahr 2019 gehen, hat – so denke ich – viel damit zu tun, was wir 2018 alles gehört, gesehen, gelesen und erfahren haben. Gehen wir mit Hoffnung oder mit Resignation, gehen wir mit freudiger Erwartung und Neugier oder mit Angst über die Schwelle?

Am Jahresende treffen wir jedenfalls auf Worte, die ca. 2560 Jahre alt sind. Fernab von Israel an die Exulanten in Babylonien gerichtet. Es sind Hoffnungsworte: Bald wird die Verbannung ein Ende haben. Dann werden sie heimkehren können nach Juda. Dann werden die Jahrzehnte in der Fremde vorbei sein.

Hört noch einmal die Worte aus Jes:

4 Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen.
5 Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm.
6 Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.

Dem, der hier redet, geht es nicht um Jahresrückblicke und um Erinnerungen an gute und schlechte Zeiten. Ihm geht es allein um die Zukunft: Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. Meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Ihm geht es um Gottes Heil und Recht für die Welt. Um Gerechtigkeit, die er Wirklichkeit werden lassen will.

Man muss dazu wissen: Im Hebräischen ist Gerechtigkeit mehr als nur Fairness und Ausgleich. Gerechtigkeit meint vielmehr die volle Erfüllung von Gottes Heil. Gerechtigkeit kann hier im vollen Sinne mit: Alles wird gut! übersetzt werden.

Wie klingen diese Alles-wird-gut-Worte in den Ohren der Verbannten, jenes Volkes Gottes, das sich eigentlich von Gott bestraft fühlte? Und wie klingen diese Worte für uns heute, die wir schon so viele Hoffnungsworte und Durchhalteparolen gehört haben? Darunter auch zahlreiche, die sich nicht bewahrheitet haben.

Ich denke, bestimmte Leute werden diesen Worten mehr Glauben schenken als andere. Leute, deren Hoffnungen vielleicht nicht so oft enttäuscht wurden, Menschen, die fähig sind, mehr das Gute zu sehen als das Niederschmetternde und die in ihrer Haltung zum Leben schon immer positiver gestimmt sind; Leute, die sich durch ihren Glauben zu „Gottes Volk“ zählen. Die werden solche Worte, wie sie uns Jesaja überliefert, freudig aufnehmen und sagen: Jawoll, Gott wird alles gut machen!

Die anderen werden sich ihnen gegenüber vielleicht gleichgültig bis ablehnend verhalten. Aus ihren Erfahrungen heraus können sie sich nicht vorstellen, dass noch irgendetwas „gut“ werden könnte. Sie haben schon zu viel gehofft und sind zu oft enttäuscht worden. Nun haben sie keine Erwartungen mehr.

Jeder und jede hier mag sich heute auf der Kante zum neuen Jahr selbst fragen, zu welcher Gruppe er/sie sich zählt. Bin ich ein guter Ackerboden für diese alten Worte, so dass Hoffnung und Trost darauf wachsen können – allen schlimmen Erfahrungen, die ich gemacht habe, zum Trotz? Oder bin ich es nicht, weil für Hoffnungsworte taub geworden? Wo findest Du Dich wieder?

Ehrlicherweise muss man zugeben, dass das eine Schwarz-Weiß-Malerei ist, die die Wirklichkeit nicht widerspiegelt. Das merke ich ja an mir selbst. Denn ich schwanke hin und her zwischen Hoffnung und Zweifel – besonders wenn die Hiobsbotschaften überhand nehmen und die „harten Fakten“ zu Gottes Verheißung allzu weit abweichen. Wo ist Gottes Heil in den Kriegsgebieten? Wo ist sein Recht in einer Welt, in der Menschen gefoltert werden? Wo richtet er die Diktatoren, die immer noch „fest im Sattel zu sitzen“ scheinen? Wo ist Gott barmherzig in unseren Krankheiten und Leiden? Fragen, die mich beschäftigen und auf die ich von Gott keine Antwort bekomme. Fragen, die an mich gestellt werden, weil Leute meinen, ich hätte dafür eine Erklärung, warum Dinge so geschehen, wie sie geschehen. Ich muss dann an Hiob denken, der von Gott auch Antwort auf derartige Fragen verlangt, und dem Gott antwortet (Hi 40,8):

Willst du mein Urteil zunichte machen und mich schuldig sprechen, dass du recht behältst?

Nein, Gott lässt nicht mit sich streiten. Unsere Welt, unser aller Leben ist auf Vergänglichkeit angelegt: Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Es ist ein mir verborgener und unverständlicher Gott, der hier spricht.

Doch dann wird irgendwann eine andere Stimme in mir laut, die sagt: Jens, besinne dich auf deine Quellen! Geh dahin, wo du deine geistliche Heimat hast! Schaue dahin, wo sich Dir Gott in seiner Klarheit gezeigt hat, wo er Dir und Du ihm nahe sein kannst. Du bist doch ein Kind Gottes. Du hast eine Beziehung zu ihm. Du glaubst, dass er in Jesus Christus Mensch und so der Gott-mit-uns geworden ist. Und Du glaubst ihn als denjenigen, der herrschen wird und es partiell auch schon tut. Noch befindet er sich zwar in stetem Kampf gegen das Böse. Doch wird er es einst besiegen, weil er der „Allmächtige“ ist. Das, Jens, sind doch deine Quellen, deine Wurzeln, die dir Kraft geben. Und du bist ja auch ständig darum bemüht, diese Wurzeln zu pflegen.

Und wenn Ihr jetzt hier im Gottesdienst am Ende des Jahres sitzt, dann ist das ja auch, so hoffe ich, eine Hinwendung zu Eurer Quelle. Eine Besinnung auf das, was Euch ganz persönlich Hoffnung und Trost spendet. Und es ist vielleicht sogar noch mehr als das, nämlich Vergewisserung. Vergewisserung darüber, dass in allem Wandel Gottes Verheißung beständig bleibt:

Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.
Die Orientierung an unserer Quelle, ja diese Vergewisserung haben wir immer wieder nötig, wenn uns so manche Ereignisse alle Hoffnung und allen Trost rauben, ja uns regelrecht in Angst versetzen oder in Verzweiflung stürzen wollen. Und so auch gerade an der Schwelle in ein neues Jahr. Wie wollten wir es begrüßen, hätten wir nicht die Gewissheit, dass wir trotz aller schlimmen Erfahrungen und trotz aller Unbeständigkeit in unserem Leben wie in unserer Welt an etwas Heilvollem teilhaben, das unzerstörbar ist und in dem alles Irdische seine Grenze haben wird. Oder wie es Gustav Heinemann mal auf den Punkt gebracht hat: Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt!

In diesem Sinne: Schöpft im Neuen Jahr 2019 mit großen Ohren und Augen aus Eurer Quelle alle Zuversicht und alle Verheißung, die Ihr finden könnt! Zu Eurer Hoffnung und Eurem Trost allem zum Trotz, was ihr sonst im neuen Jahr hören und sehen werdet. Und haltet euch stets daran fest, wenn Gott an seine Leute ausrichten lässt:

Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.

Amen.

Geschrieben von Pastor Jens Gillner