DAS GEHEIMNIS, WELCHES GOTT MIT DEN MENSCHEN TEILT

(Predigtgedanken zum 18. Sonntag im Jahreskreis Lk 12:13 – 21)

EINE GROSSE BEERDIGUNG

Die Leute konnten es nicht fassen. Wie ein Lauffeuer ging es herum. Der größte Bauer des Dorfes war in der Nacht gestorben. Plötzlich und unerwartet. Ihm gehörten die Ländereien, soweit die Augen reichten. Für ihn arbeiteten hier alle. „Ein armes Schwein“, sagten die Leute. Was hat er jetzt? – Aber wer konnte sagen, was das für ein Mensch war, der mit seinem Namen, seinen Ideen und seinem schier unergründlichen Elan alles in den Hof steckte? Wer wusste, was in ihm vor ging? – Wer kannte seine Einsamkeit?

SELBSTGESPRÄCH

Jesus erzählt die Geschichte eines Menschen, der mit sich selbst redet. Jesus lauscht dem reichen Kornbauern. Der fühlt sich unbeobachtet. Niemand ist bei ihm. Seine Gedanken wägen die Geschäftsperspektiven ab. So eine reiche Ernte! Wieder einmal. Dann stellen sich Erinnerungen ein. Mein Gott, wie hart das manchmal war! Vergangene Jahre huschen durch den Kopf. Dann kommt ein Stoßseufzer tief aus der Seele. Du kannst es jetzt leichter angehen, sagt sich der reiche Kornbauer. Ich habe es geschafft! Die neue Scheune ist schon keine Herausforderung mehr.

Ich kenne Menschen, die stolz und zufrieden davon erzählen, was sie erreicht haben, die die Widerstände, die Arbeit, die Mühen schildern und ganz glücklich sind, aus dem Gröbsten raus zu sein, ja, an Schwierigkeiten gewachsen zu sein – wie sie sagen. Ich höre ihnen zu, verstehe sie. Abends beim Gläschen Wein zu sagen: Habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut – dass könnte eine Offenbarung sein. Nach vielen kleinen und großen Erfahrungen, Enttäuschungen, Versuchen und und …
Es ist ein Glücksfall (und ein Vertrauensbeweis), wenn ein Mensch davon erzählt, was er mit sich bespricht, wenn er sein Innerstes öffnet, sich auf den Grund der Seele blicken lässt. Ich käme doch nie auf die Idee, ihn (oder mich) einen Narren zu schimpfen.

HINTER DEN KULISSEN

Jesus aber nennt unbefangen und unvoreingenommen Narrheit, was sich als letzte Klugheit ausgeben will. Die Narretei, sich auszuliefern an Reichtum, Ansehen und Erfolg. Die Narretei, nur noch mit sich selbst sprechen zu können. Wie Schuppen fällt es von den Augen! Nicht der Mensch besitzt Geld, einen Ruf oder seine gesellschaftliche Stellung – es sind diese Dinge, die ihn besitzen, die ihn besetzen, die ihn verhexen. Jetzt muss der Marktwert ständig beobachtet werden, jetzt müssen alle Möglichkeiten, oben zu bleiben, taxiert werden, jetzt heißt es: am Ball zu bleiben. Irgendwann macht das Herz nicht mehr mit, die Frau sucht sich einen anderen, die Kinder vermissen ihren Papa… Und das alles macht dann auch noch – Angst! Diese Angst spielt eine große Rolle in Selbsthilfegruppen, Seminaren und – nächtlichen Streitgesprächen.

Hinter den Kulissen entpuppen sich alle Dinge als vergänglich. Korn ist vergänglich. Aktien sind vergänglich. Reichtum ist vergänglich. Können denn vergängliche Dinge dem Menschen Halt geben? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wer lange arbeitslos war, wer sich eine neue Existenz aufbauen muss, wer jeden Tag herausgefordert wird – braucht vergängliche Dinge, kämpft mit ihnen, tröstet sich mit ihnen. Nur: alles ist das nicht. Wir Menschen ahnen das. Der reiche Kornbauer überlagert die neue Scheune mit Hoffnungen, die sie nie erfüllen kann. Unter ihrem Dach wächst keine Zukunft. Man muss nur die Mäuse fragen! Am Ende könnte das Urteil tatsächlich nicht zu vermeiden sein: „Du Narr!“

Ich bin ratlos. War der reiche Kornbauer denn nicht auf einem guten Weg? Ich möchte mich mit ihm über die neuen Lagerhallen freuen. Ich möchte mich mit ihm darüber freuen, dass das Korn wieder wächst. Aber das „Danke“ brachte er nicht über die Lippen. Es gehörte ihm einfach – alles. Selbstverständlich. Wie von Geisterhand gemehrt. Der reiche Kornbauer war selbst zu einem Ding verkommen.

DIE LIEBE SEELE

Lukas schweigt. Der reiche Kornbauer hat das Wort. Ich fühle mich wie ein Voyeur. „Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut.“ Die Worte schmecken nach Sicherheit. Sie riechen nach Sicherheit. Sie versprechen Sicherheit. Ich brauche auch Sicherheit! Nur: was mein Leben hält, lässt sich nicht lagern und horten, nicht einmal bilanzieren. Selbst wer nichts hat, nichts erreicht, entgeht dem Bann nicht, der über den Dingen liegt. Sie versprechen etwas, was sie nicht gewähren können: Leben. Neid lohnt sich nicht.

Jesus erzählt die Geschichte in einer Erbschaftsangelegenheit. Das sind vielfach unerquickliche Geschichten, in der Menschen sich so richtig kennenlernen – und sich verlieren. Am Ende bleiben oft nicht einmal mehr die Masken. Die hart erworbenen. Die liebevoll gepflegten.

Kann aber ein Mensch – am Ende – mit seiner „lieben Seele“ reden, gar zu ihr beten? Die „liebe Seele“ muss alles mit sich ausmachen, am Ende verstummt sie. Zu sagen hat sie nichts. Nur viel zu ertragen.
Am Ende tut es doppelt weh: in dieser Geschichte begegnet uns ein Mensch, der alles alleine schafft, alles auch alleine geschafft hat. In seinem Leben scheint es keine anderen Menschen zu geben. Nicht einmal die vielen Arbeitskräfte sind in seinem Kopf.
Ob die „liebe Seele“ alleine säte, alleine mit der Sense übers Feld zog, alleine auch alle Säcke schleppte? „Danke“ hätte sie dann nie sagen müssen, aber auch kein Fest feiern können, keine gemeinsame Freude … Ob die „liebe Seele“ jemals den Satz gehört hat: Ich liebe dich? Wie bitter – und einsam – sich das jetzt anhört: „liebe Seele“ …

DIE NARREN KÖNNEN KOMMEN …

Als der reiche Kornbauer beerdigt wurde, gaben ihm viele Menschen das letzte Geleit. Die meisten gingen schweigsam. Reden wurden dann aber auch gehalten. Zu einem Eklat kam es nicht. Niemand nannte ihn einen Narren. Die eine Nacht, die letzte, bleibt das Geheimnis, das Gott mit den Menschen teilt.

Gott deckt uns liebevoll den Tisch und lädt ein zu seinem Mahl. Bei ihm ist keiner mit sich allein. Darf ich das jetzt so sagen? – Die Narren können kommen und als Gäste bleiben. Jeder bringt seine Geschichte mit. Seine Sehnsüchte. Seine Pläne. Dann aber beginnt der Lobpreis: Recht und würdig ist es, angemessen und heilsam, dass wir dir, allmächtiger Gott, barmherziger Vater, an allen Orten und zu allen Zeiten danken …
Aus diesen Worten wächst Zuversicht! Wir kommen zur Ruhe, essen, trinken. Und guten Mut bekommen wir auch!

Seneschall Matthias David