EIN BERG, EINE EINÖDE UND FÜNF BROTE

(Predigtgedanken zum 17. So. i. Jkr. – 9. So. n. Trinitatis; Joh 6:1-15, 2Kon 4:42-44, Eph 4:4:1-6)

Dass große Geschichten so klein anfangen! Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische…

Auf einmal geraten wir, mehr oder weniger zufällig, in eine Geschichte, die uns nicht loslassen wird. So weit das Auge reicht – Köpfe bis an den Horizont. Immerhin waren es – für die Statistik – 5000 Männer plus Frauen plus Kinder plus Enkel. Also, ein Open Air Festival – nur: überhaupt nicht vorbereitet. Johannes deutet auch nur an, dass die vielen Menschen von den Zeichen Jesu überwältigt waren und ihn nicht aus den Augen ließen. Mich faszinieren die Menschen, die Jesus nachlaufen, ohne nachzudenken, Folgen abzuwägen, Risiken auszuschließen. Ob sie neugierig sind? Sensationshungrig? Oder einfach nur hungrig nach – Leben?


Ich hungere doch auch nach Leben, ich möchte hören, was mich aufrichtet, ich möchte die vielen Stellen überbrücken, die mir wie Löcher oder Abgründe in meinem Leben vorkommen.
Eugen Roth hat in einem Gedicht geschrieben:
                                                                                                 „Ein Mensch gelangt, mit Müh’ und Not
von Nichts zum ersten Stückchen Brot.
Vom Brot zur Wurst geht‘ s dann schon besser:
Der Mensch entwickelt sich zum Fresser
Und sitzt nun, scheinbar ohne Kummer
als reicher Mann bei Sekt und Hummer.
Doch sieh, zu Ende ist die Leiter:
Von Hummer aus geht‘ s nicht mehr weiter.
Beim Brot, so meint er, war das Glück.
Doch findet es nicht mehr zurück.“

Ich sehe Jesus, von seinen Jüngern umringt. Er wird den Menschen ein Zeichen geben, dass sie bei ihm satt werden, das Leben finden, sogar Gottes Reich zu Gesicht bekommen. Jene Fülle, von der schon die Propheten zu reden wussten. Auch wenn es nur Brot sein wird – und Fisch: Hier werden Menschen zurückfinden!

Die Jünger aber sehe ich mit leeren Geldbörsen hantieren, Ideen entwickeln und verwerfen – sehr sympathisch und eben auch vertraut. Die Ratlosigkeit, eine Situation zu retten, kenne ich. Wenn es nur Ratlosigkeit wäre – ich bin machtlos. So höre ich Andreas sagen: Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Nicht viel mehr als „nichts“. Aber eben doch: mehr als „nichts“.

WAS NICHT ALLE SEHEN

Wo so viele Leute zusammen sind, liegen Töne, Wortfetzen, Murmellaute in der Luft. Was die Menschen sich erzählen, sind Geschichten aus ihrem Leben. Von Kindern, Krankheiten, Arbeit, von Reibereien, Streitigkeiten und Zerwürfnissen, von Plänen und Enttäuschungen. In einer so großen Gruppe können Menschen sogar einsam sein, unverstanden, stehen gelassen. Das ganze Leben spielt sich hier ab. Wie in einem Spiegel.

Johannes, der die Geschichte erzählt, lenkt aber alle Blicke auf die Mitte. Was die Leute nicht hören – der Evangelist erzählt es. Lasst die Leute sich lagern, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Ich sehe sie durch die Reihen gehen. Ich sehe auch die erwartungsvollen Blicke. Was in der Mitte anfängt, geht von Reihe zu Reihe, wird unter den Menschen geteilt, weitergegeben, kommt scheinbar aus einer nicht versiegenden Quelle. Jesus hatte die Brote – des Kindes – , in die Hand genommen, über sie das Dankgebet gesprochen und sie dann weitergegeben. Diese Worte reichen.
Spielen wir Zuschauer, fühlen wir uns in eine unwirkliche Situation versetzt – setzen wir uns dazu, geht das Brot durch unsere Hände.

Ein Kind, fünf Gerstenbrote und ganz viel Volk – satt geworden sind alle – am Ende 12 Körbe mit Resten. Fein säuberlich aufgelesen, zurückgegeben. Es bleibt mehr übrig, als überhaupt da war! Die 12 Körbe stehen – wie die Menschenmenge – für den Überfluss, für den überfließenden Reichtum, der aus der Hand Gottes kommt. Sie sind auch Vorschuss auf die Zukunft. Ein gutes Zeichen für kommende Zeiten.

VORSCHUSS AUF KOMMENDE ZEITEN

Mit Mangel machen wir als Menschen bemerkenswerte Entdeckungen. Eine ist, gerade dann viel zu haben, auch viel zu verschenken, viel zu bekommen, wenn – eigentlich – nichts zu verteilen ist. Die Erfahrung, reich zu sein, hat weder mit Geld noch mit Einfluss zu tun. Aber viel mit Nähe, Gemeinschaft, Durchhaltevermögen. Wenn das Evangelium von Brot redet, ist diese elementare Entdeckung gemeint: Letztlich genügt ein Stückchen Brot, um das Leben zu schmecken. Ältere Menschen wissen aus den „schlechten Zeiten“ Geschichten zu erzählen, in denen der Mangel nicht verklärt, aber verwandelt wird. Ich höre ihnen immer gerne zu. Sie halten eine Erinnerung wach, die im Überfluss untergeht. Das Stückchen Brot hält den Platz für den Himmel frei.

Für schöngefärbte Nostalgie eignet sich das Evangelium gleichwohl nicht. Das Stückchen Brot hält auch eine Sehnsucht wach: die Sehnsucht, genug zu haben. Und – am Leben teilzuhaben! Viele Menschen kommen heute nur noch über die Runden, aber ihren Kindern können sie nicht einmal mehr Schulausflüge oder warme Mahlzeiten ermöglichen. Es reicht vorne und hinten nicht. Wenn aber in einem reichen Land, in dem treuhänderisch zu verwaltendes Vermögen ungestraft aufs Spiel gesetzt werden kann – sogar mit Boni und Pensionsansprüchen für die Täter in Nadelstreifen -, immer mehr Kinder verarmen, wird das Stückchen Brot zu einem Mahnmal, zu einem Aufschrei.

Johannes hat auch alles vermieden, dass wir den Ort auf einer Karte identifizieren können – der Ort, an dem das Brot unter den Händen, wenn es geteilt wird, wächst, liegt vor der Haustür. Das Evangelium könnte meine Haus-Nr. bekommen – noch weiß ich nicht, ob ich mich darüber freue.

ERINNERUNGEN

Das Evangelium hat eine Vorläufergeschichte. Sie spielt in der Wüste. Damals waren Menschen unterwegs. Ihr Ziel war das gelobte Land. Die Knechtschaft – Ägypten – lag hinter ihnen. Frohgemut waren sie aufgebrochen, die Schritte federten noch, ihr Ziel stand unverrückt fest. Aber dann zog sich alles hin, der Weg wurde beschwerlich, die Wüste immer größer – die alte Geschichte erzählt, wie die Menschen sich lagern sollen und zur Ruhe kommen. Gott richtet ihnen ein Fest aus! Die Wüstenzeit wird danach nicht mehr die sein, die sie vorher war. Die Wüstengeschichten verwandeln sich in Aufbruchsgeschichten – Geschichten, die von Freiwerden, von Freimachen, von Freiheit erzählen.

Ob Johannes so weit zurückdachte, als er sich daran machte, die Geschichte aufzuschreiben, in der Jesus die Brote nahm, dankte und sie denen gab, die ihn umringten?

Die alten Ausleger haben beobachtet, dass diese Geschichte auf die Eucharistie hinführt – oder auch von ihr herkommt. „Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen.“  Der Wortlaut der Einsetzung schimmert durch – und erobert sich die Geschichte. Sie erzählt von Leben im Überfluss – für Menschen, die mit ihren kleinen Hoffnungen den großen Erwartungen hinter her laufen. In der Präfation – der Vorrede zum Mahl, die mit dem Lobpreis endet – werden die großen Taten Gottes erzählt. Er gibt sein Wort darauf, für die Menschen da zu sein – sein Wort kommt auch nicht leer zurück. Zwölf Körbe – was für ein Überfluss!

SURSUM CORDA

„Aber was ist das für so viele“. Mit Blick in seine Geldbörse schreckt Philippus zurück. Wir fragen nach unseren Ressourcen. In vielen Bereichen sind die Kassen leer, das Geld knapp. Wir fürchten um die Vorräte. Am Stammtisch wird ängstlich verteidigt, was „wir“ haben, unter Kollegen wird Asylanten die Schuld gegeben, dass das Sozialsystem und die Renten nicht mehr reichen, in Hausfluren werden Vorurteile geteilt. Andere Menschen, und besonders die, die anders sind, werden abgeschrieben. Das ist dann der Stoff, aus dem die Resignation, die Angst – und auch der Hass – maßgeschneidert werden

Johannes führt uns von den Ressourcen – und den variierenden Bewertungen zum Tageskurs – auf eine ganz andere Spur: Nimm das, was du hast, danke – und teile es. Wir werden ein Wunder erleben. Kein blaues. Verhalten und unaufdringlich entdecken wir: Wir haben noch genug.
                                                                                          An der Stelle nimmt das Evangelium unseren Rechenkünsten, Abwägungen und Bedenken die Luft aus den Segeln, die Rauchschwaden vom Stammtisch, die trübe Stimmung von den Gemütern – und lässt Jesu Wort eine Kraft entfalten, die alles verwandelt, was wir haben.

Früher begann die Eucharistie mit dem Ruf: Sursum corda – Empor die Herzen! Was aus 5 Broten und 2 Fischen wird – es ist nicht zu fassen: Sursum corda!

Seneschall Matthias David