(Predigtgedanken zum 26. Sonntag im Jahreskreis Lk 16:19-31)
Himmel und Hölle scheinen unendlich ferne zu sein, dass sie nicht ernst genommen werden. Himmel und Hölle können aber ganz nahe sein. Mitten unter uns können wir Hölle und Himmel wahrnehmen, wenn wir bereit sind, Wahrheiten anzuerkennen und anzunehmen.
…WENN EINER VON DEN TOTEN ZU IHNEN KOMMT
Abraham ist im Himmel, Lazarus auf seinem Schoß – der reiche Mann schmort in der Hölle, die fünf Brüder wissen von nichts. Ein Bote aus dem Jenseits wäre doch sehr barmherzig, oder? Und richtig toll, wenn jemand von den Toten käme und uns das ganze Ausmaß der Unterwelt präsentierte! Da sollte doch das letzte Wort noch nicht gesprochen sein!
Doch Lukas, Evangelist, Chronist, Geschichtenerzähler von Gottes Gnaden schaut ein wenig verwundert drein. Mir wird schon leicht mulmig. Und dann legt er los. Ich halte den Atem an. Du hörst doch, was Flüchtlinge von der Hölle zu erzählen wissen, der sie zu entfliehen suchen? Du hörst doch, was Menschen berichten von ihrer zerstörten Heimat? Von Klima- und anderen Katastrophen? Du hörst doch die Erde klagen, die so viel unschuldiges Blut fressen und saufen muss? Du hörst doch! Du hörst doch schon lange! Die Worte werden immer schneller. Sie überschlagen sich förmlich. Ich weiß, ich weiß… Aber ich werde immer leiser. Ich möchte mich verstecken. Ohne eine Chance zu haben. Die Stimmen aus den Orten der Qualen verstummen nicht.
Wenn einer von den Toten zu uns käme? Sie sind längst da!
HÖLLE, GANZ NAH
Abraham, halte uns doch die Toten vom Leib! Wie gerne würde ich DAS sagen. Also, ganz anders als die arme Seele in der Hölle. Sie hat Abraham förmlich genötigt. Es muss doch etwas geschehen! Das kann doch so nicht bleiben! Wir sehen einen Menschen, der in weiter Ferne das Glück vor Augen hat, aber stetig und unaufhörlich verkommt, ohne je ein Ende zu finden. Aber so weit die Distanzen auch sind, unüberbrückbar – Abraham hört zu, Abraham hält Zwiesprache. Zwiesprache zwischen Himmel und Hölle, zwischen Erlösung und Verlorenheit.
Das Gespräch ist kurz, mehr angedeutet als ausgeführt. Doch die Szene ist klar. In dem, was wir Jenseits nennen, kann das Glück nicht mehr geteilt werden. Es ist alles entschieden. Aber mir dämmert jetzt auch, dass die Geschichte tatsächlich einen anderen Ausgang, einen neuen Ausgang findet. Das Glück lässt sich vorher teilen. In einer Welt, in der die Hölle von Menschen gemacht wird. In der Menschen unheimliche Qualen erleiden müssen. In der Menschen verdammt sind. Wie in einem Spiegel soll ich das Jenseits im Diesseits sehen. Mit dem ganzen Ausmaß von Verlorenheit, Enge und Feuer. Lukas holt die Hölle tatsächlich von unten nach oben, von ganz fern nach ganz nah, vom Schreckgespenst zum Zeitgenossen. „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von der Toten aufersteht.“
HÖREN
Lukas male immer nur schwarz-weiß, sagen seine Kritiker von Anfang an. Vielleicht ist das so. Vielleicht muss es auch so sein. Als feiner Beobachter von Menschen und ihren Verstrickungen hält er ihnen eine andere Welt vor Augen, die Welt Gottes. Und die erschließt sich im HÖREN – bei Mose, bei den Propheten. In der Schrift. Und Jesus sagt nicht einmal etwas Neues – oder Anderes. Überraschenderweise. Von Anfang an, heißt das, bahne sich Gottes Welt den Weg durch das Ohr! Hörbar. Fühlbar. Mal ganz leise, mal ganz laut. Mal zärtlich, mal unerbittlich. Wenn Gottes Wort in ein Herz einzieht, wird es mit seiner Liebe ausgefüllt. Dann wird im Leben eines Menschen der Himmel sichtbar. Die Welt Abrahams. Wir hören in dieser kleinen Geschichte die Hölle auf die Erde schwappen, hören aber auch, wie der Himmel offen bleibt. Auf Abraham und seinem Glauben haben Mose und die Propheten immer wieder verwiesen. Selbst, wenn er nicht präsent ist, steht er wie ein Vater über allem. Sogar über der Hölle.
Abraham aber, Lazarus auf seinem Schoß, sagt nur, was alle wissen, alle wissen können. Es steht nicht nur geschrieben, es geht uns schon lange durch Herz und Kopf. Dass der Reichtum unser Leben nicht reich machen kann. Dass der Reichtum die Welt teilt. Dass der Reichtum keinen Himmel schenkt. Und immer, wenn das Geld zum Schlüssel der Welt gemacht wird, wird die Welt verschlossen. Ich kann das hören. Eine Tür geht zu, viele Türen gehen zu.
Und irgendwo liegt ein Mensch. Vielleicht fällt etwas für ihn ab. Vielleicht auch nichts. Sogar mancher Hund weiß eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte, mit Füßen getreten zu werden. Ich weiß es eigentlich schon lange. Gehört habe ich es oft. Nicht nur von Mose, von den Propheten, von Jesus auch.
BLICK IN DEN HIMMEL
Lukas erzählt eine Geschichte, die er von Jesus gehört hat. Es ist ein kleiner Auszug aus einem Gespräch mit den Pharisäern. Was sie im Einzelnen besprochen haben, wissen wir nicht, nur, dass das Thema der Reichtum ist. Ein heikles Thema. Jesus äußerst sich kritisch und rechnet mit dem Reichtum ab. Aber nicht nur mit dem Reichtum! Der Reiche wird nicht weiter vorgestellt, zu seinem Leben nicht ein Wort verloren, aber er muss in die Hölle. Einseitig? Ungerecht? Nur weil er reich ist? Am liebsten würde ich mich jetzt erst einmal auf die Seite des reichen Mannes stellen. Armes Schwein! Er braucht meine Solidarität, meine Sympathie – mein Mitleiden.
Übrigens: Lazarus hat einen Namen. Hebräisch Elʿāzār, deutsch „Gott hat geholfen“. Der reiche Mann hat keinen Namen. Absicht? Irrtum? Nachdenklich schaue ich auf die Geschichte, die Jesus erzählt. Wo komme ich in ihr vor?
Ich höre den Propheten Amos.
„Weh den Sorglosen auf dem Zion
und den Selbstsicheren auf dem Berg von Samária!
Ihr salbt euch mit feinsten Ölen,
aber über den Untergang Josefs sorgt ihr euch nicht.“
Abraham ist im Himmel, Lazarus auf seinem Schoß. Der reiche Mann schmort in der Hölle. Und wir haben alles gehört!
Seneschall Matthias David