IN DER MITTE DER NACHT LIEGT DER ANFANG EINES NEUEN TAGES

(Predigtgedanken zum 4. Fastensonntag/Laetare – Joh 3:14-21/Eph 2:4-10)

LAGERFEUERNÄCHTE

Jeder, der schon einmal in einem Jugendlager war oder an einer mehrtägigen Wanderung teilgenommen hat, kennt diese Situation: Abends, wenn allmählich Ruhe einkehrt und man in einer Berghütte am Kamin oder auf dem Campingplatz am Lagerfeuer sitzt, kommt oft eine Situation auf, in der Platz ist für sehr tiefgehende Gespräche. Es ist wohl diese Atmosphäre der Dunkelheit und der Stille, die den Raum schafft.

Eine ähnliche Situation haben wir im heutigen Evangelium. Nikodemus ist ein jüdischer Pharisäer, von denen anscheinend einige sehr an Jesus interessiert waren und ihm nicht feindlich gegenüber standen. Er sucht ihn eines Abends auf, um mit Jesus in eine tiefgehende Diskussion einzusteigen.

Ob das Setting der Situation wirklich so war oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle – wir können davon ausgehen, dass der Evangelist mit dieser Beschreibung der nächtlichen Situation eine ganz besondere Botschaft verband. Für solch eine nächtliche Gesprächsatmosphäre wie an einem Lagerfeuer haben nämlich die Heiligen Schriften sehr viel übrig und schreiben diesen Momenten ganz Besonderes zu. Im Psalm 134 etwa heißt es: „Preiset den Herrn, alle Diener des Herrn, die ihr in den Nächten im Hause des Herrn steht (Ps 134,1).“ Oder bei Matthäus 10,27: „Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet (später) am hellen Tag.“

VOM LICHT IM DUNKELN

Damit ist also diese Situation zwischen Nikodemus und Jesus nicht einfach ein geselliger Anlass, ein netter Abend bei einem Glas Wein, sondern viel eher geradezu ein Offenbarungsmoment. Wir hören, wie Jesus Nikodemus einführt in das Geheimnis seines göttlichen Heilswirkens. Jesus zeigt ihm seinen Gott und kann darauf setzen, dass die Atmosphäre der Situation dabei wirkt. Solche Offenbarungssituationen haben in den Beschreibungen der biblischen Autoren immer etwas Geheimnisvoll-Mystisches an sich – denken wir doch etwa an die Verkündigung des 1. Fastensonntages: Im Nebel auf dem Berg Tabor offenbart Gott den Jüngern seinen geliebten Sohn. Und alle Beteiligten werden aus der Bahn geworfen, sind völlig verdattert.

DER SOLLTE EIGENTLICH SCHLAFEN

Warum aber kommt es überhaupt zu diesem Gespräch und zu dieser Situation, was will Nikodemus? Sein Anliegen wird bei Johannes nicht so ganz klar. Wir hören wenige Verse vor unserem heutigen Evangelium, wie Nikodemus an jenem Abend Jesus anspricht und als Gelehrten anerkennt, worauf Jesus antwortet:
„‚Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.‘ Nikodemus entgegnete ihm: ‚Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden.‘ Jesus antwortete: ‚Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.'“ (Joh 3,3-5).

Sehr schwierige Worte. Nikodemus hört einfach zu. Und was Jesus dann weiter zu ihm sagt, hat etwas Eigenartiges an sich: Mitten in der Dunkelheit der Nacht spricht Jesus – so hörten wir – vom Licht, das die Menschen suchen sollen, an dem sie sich ausrichten sollen. Wie einst die Juden beim Zug durch die Wüste sich am Zeichen des Mose, an der Schlange, ausgerichtet haben.

WORAUF ES ANKOMMT

Diese Worte Jesu sind für Nikodemus, den frommen Synagogengelehrten, eine Herausforderung. Denn: Er sitzt ja – ganz wörtlich – mit Jesus im Dunkeln. Er hört die Worte Jesu und er scheint diesen Worten zu glauben – sonst hätte er Jesus vermutlich umgehend verlassen. Aber Jesus lässt ihn auf seiner Gottsuche auch ein gutes Stück allein. Er gibt ihm Ideen mit, die Nikodemus zum Licht der Welt führen, aber wie er hinkommt, muss er selber zusehen. Dazu hören wir dann aber nicht, dass Nikodemus sich überfordert fühlt und gar aufbegehrt. Anscheinend gelingt das Vorgehen Jesu. Nikodemus lässt sich auf das Experiment ein, er lässt sich beschenken – ganz offen und vorurteilsfrei. Wie Paulus das im Brief an die Epheser beschrieben hat: „Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft Gott hat es geschenkt.

Zwei Dinge scheinen dabei geholfen zu haben, dass das Werk Jesu gelingt: eben die Atmosphäre, in der die zwei zusammen treffen, und die Beziehung zwischen den Zweien. Beides scheint so zu sein, dass Jesus den Nikodemus fordern kann.

Das lässt aufhorchen: Der Glaube mit den vielen Aspekten, die ihn manchmal doch schwierig und anspruchsvoll machen, lässt sich anscheinend also überzeugend vermitteln, wenn die Beziehung zwischen Zeugen und Empfänger stimmt und Raum und Zeit gut sind. Dann gilt auch wohl der Umkehrschluss: Wenn Menschen, die die Botschaft Jesu verkünden wollen, sich zu ihrer Umwelt in keiner Beziehung halten können, ist ihr Tun für die Katz – da können sie noch so rechtgläubig sein. Wenn Glaubensverkündigung geschieht in einem Klima von Streit, Neid und Missgunst, dann kann die Botschaft noch so wahr sein – niemand wird sie hören wollen.

UND HEUTE?

Immer wieder hören wir Stimmen, die von einer Verdunstung des Glaubens sprechen, die mit der scheinbaren Gottlosigkeit dieser Welt hart ins Gericht gehen. Jesus und Nikodemus weisen aber durch ihr Miteinander darauf hin, dass es vielleicht gar nicht so sehr um fehlenden Glauben geht, sondern vielmehr um eine mangelhafte Kommunikation der Botschaft. Der Geist Gottes wirkt. – Nur woran soll der Glaubende sich ausrichten? Die Juden hatten auf ihrem Weg durch die Wüste das Zeichen der Schlange des Mose, – Nikodemus findet im Gottessohn das Licht der Welt, das seine Dunkelheiten erleuchtet.

Und wir in unserer Zeit? Woran können sich Suchende heute ausrichten? Ob die Botschaft Jesu vom Heil auch heute noch an die Ohren der Menschen dringt, kommt sehr darauf an, ob wir es schaffen, eine Atmosphäre des Heils und heilende Beziehungen zu gestalten. Das gilt für jede Großmutter, die ihrem Enkel von Gott erzählt, wie auch für die Vertreter des kirchlichen Lehramtes.

Seneschall Matthias David