Momente der totalen Herausforderung – Momente der Glückseligkeit

(Predigtgedanken zum 2. Fastensonntag / Reminiszere, Mk 9:2-10; Gen 22:1-2, 9a, 10-13, 15-18)

Fordert der Wille Gottes blinden Gehorsam?

Die heutigen Texte bieten viel: vom menschlich Unerträglichen und moralisch Fragwürdigem (1. Lesung: Abraham soll Isaak, seinen einzigen Sohn, töten) bis zu beglückenden unwiederholbaren Augenblicken, Sternstunden: Verklärung, Verwandlung hin in eine bessere Welt (Evangelium).

Wer ganz unbefangen den Text der 1. Lesung liest, in dem wird sich höchstwahrscheinlich ein Gefühl der Abscheu auftun. Was ist das für ein Gott, der so etwas anordnet? Ist das nicht religiöser Sadismus sondergleichen? Fromme werden einwenden: “Was immer der Wille Gottes ist, das musst du tun!” Ein Gläubiger dieser Prägung lässt sich höchstwahrscheinlich in diese Art von Gehorsam hineintreiben und wird so zum willfährigen Handlanger von Grausamkeit und Barbarei.

Bis in die Gegenwart herauf wird sichtbar, was der blinde Gehorsam vor allem in der Politik möglich macht. Die historischen Beispiele von KZ’s, sibirischen Gulags kennen wir zur Genüge. Manch unmenschliche Tat wird erst möglich durch den Gehorsam der „Guten“.

Wie wird es wohl Abraham und seinem Sohn Isaak bei diesem Auftrag gegangen sein? Wir lesen nichts darüber.

Die Exegeten lehren uns, dass mit dieser Begebenheit Jahwe den grausamen Menschenopfern ein Ende bereitet habe. Mit Abraham will uns die Bibel den Beginn der Heilsgeschichte zeigen. Bei Matthäus lesen wir zweimal, freilich in einem etwas anderem Zusammenhang: “Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer!” Trotzdem bleibt für mich die Frage bestehen: Hätte das nicht auf andere Weise geschehen können? Gibt hier nicht Gott trotz dieser Erklärung ein Zerrbild von Unmenschlichkeit ab? Hier treten Fragen auf, die kaum zu lösen sind.

Konfrontation mit dem Loslassen-Können

Worin könnte dann der Sinn der ersten Lesung bestehen? Ein kleiner Lösungsansatz, der möglicherweise weiterhilft, ist die Frage nach dem Sinn unseres Daseins. Er wird durch die Nachkommenschaft in der Schöpfung beantwortet.

Wir Menschen wissen aus dem Erbe der Natur, dass wir in unseren Kindern weiterleben, dass sie uns brauchen, unsere Hilfe benötigen und dass auch Vertrauen und Liebe in irgendeiner Form vorhanden sind.

Vor diesem Hintergrund steht die Geschichte Abrahams in einem anderen Licht. Sehr sehr lange musste er auf Nachkommen warten, seine Frau war unfruchtbar, bis schließlich Sara den Sohn Isaak empfängt. Er wächst heran und Gott fordert ihn zurück, diesen heranwachsenden Knaben, in dem Abraham seinen eigenen Lebenssinn sieht, in dem er all sein Hoffen und Denken hineinlegt.

Auf sehr harte Weise kommt zum Ausdruck: Was wir selbst schaffen, biologisch oder was auch Werk unserer Hände ist, kann urplötzlich genommen werden. Während unseres gesamten Lebens werden wir mit dem Los-lassen konfrontiert, weil alles der Vergänglichkeit unterworfen ist. Wer glaubt, alles festhalten zu können, den Schritt des Verzichts, des Abschieds auf Dauer irgendwie zu verhindern, wird viel Leid durchmachen.

Das gilt für Eltern, die den Ablösungsprozess ihrer Kinder zu stoppen versuchen, aber auch für Menschen, die sich zeitlebens nie selbstständig machen wollen. Es trifft auch auf Menschen zu, die einander nicht genug Freiraum geben.

Im Schritt des Verzichts lernt man selbst zu existieren, frei zu werden, vor Gott hinzutreten und Segen zu empfangen. Leider ist das oft ein sehr schmerzlicher Vorgang.

Es gibt Momente der Glückseligkeit

Auch das Evangelium verbindet Diesseits und Jenseits miteinander. Das Reich Gottes ist schon unter euch. Es gibt in jedem Leben nicht nur Momente des Verzichts, Momente der totalen Herausforderung, sondern auch Momente der Glückseligkeit. Gott wendet sich bei aller Bedrängnis dem Menschen zu, auch wenn das mitunter unbegreiflich ist, wie in der ersten Lesung gezeigt wird.

Das Bild des Evangeliums ist so etwas wie kurzfristiges Austreten aus dem Alltag, der verborgene Gott wird sichtbar, dargestellt in der Wolke. Es ist eine Erschließungssituation: Nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern die Auferstehung.

Freilich geht es dann wieder zurück in die Niederungen des Alltags, in die vielen Bewährungsproben. Die Sinnfragen stellen sich immer wieder: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wozu lebe ich? Die Jünger beschäftigt diese Frage, was das sei: von den Toten auferstehen.

Schwer zu beantworten. Aber kurze Lichtblicke, Einblicke, heben den Schleier, der alles verbirgt, der kurz in Ansätzen Klarheit bringt. Ich wünsche Ihnen solche Stunden der Verklärung: Lichtblicke, Einsichten.

Seneschall Matthias David