(zum 10. Sonntag im Jahreskreis Mk 3,20 – 35)
ZOFF IN DER HEILIGEN FAMILIE
Hör‘ ich recht? Das hört sich nach Streit an – Streit in der Familie Jesu. Der Evangelist erzählt tatsächlich, dass die Angehörigen Jesus zurückholen wollen. Begründung: Er sei von Sinnen. Ihre Einschätzung deckt sich sogar mit der offiziellen der Schriftgelehrten: Jesus sei von Beelzebub besessen. Immerhin: von dem Obersten der Dämonen. Die einen sagten, was sie dachten, die anderen hatten schon ein fachmännisches Urteil parat. Dabei ist Jesus noch ganz am Anfang seines Weges. Aber ein unbeschriebenes Blatt ist er längst nicht mehr. Und wenn ich dann höre, dass Jesus seine Mutter und seine Brüder schroff abweist, gar fremde Leute zu Mutter und Brüder erklärt – ich bin irritiert, fassungslos, überrascht. Ich sehe schon die Überschrift in der Zeitung morgen, die ich nicht nennen darf: Zoff in der Heiligen Familie.
DÄMONEN
Sie werden vermutlich nicht gemerkt haben, worum es geht. Ein Nebensatz verrät es: Jesus treibt die Dämonen aus. Selbst erfahrene Fernsehschauer, Science Fiction Leser und Spieler in Sternenwelten trauen ihren Augen nicht: ohne großes Aufheben, Wunderwaffen oder geheimnisvolle Rituale sehen wir Jesus die bösen Geister austreiben. Die, die Menschen besetzt halten, werden nicht nur in die Flucht geschlagen – sie werden ihrer Macht, ihres Einflusses einfach beraubt.
Wenn ich das erzähle, muss ich auch noch etwas anderes erzählen: Die Menschen, die zum ersten Mal das Evangelium hören, wissen, dass Gottes Reich anbricht, wenn die Dämonen ausgetrieben werden. Es ist die vielleicht größte Sehnsucht, die Menschen haben – und von Generation zu Generation weitergeben. Gehört haben sie: wenn die Dämonen ihre Macht verlieren, dann beginnt eine neue Zeit, ein neues Leben.
Überlegen wir doch einmal, was Dämonen sind. Mit Namen kenne ich sie auch nicht. Aber ich habe schon mitbekommen, was sie anrichten – ganz im Verborgenen. Immer auch im Schatten der Nacht. Sie lieben es, sich einzunisten, ohne zu verraten, dass sie da sind. Gekonnt verwischen sie ihre Spuren.
NATÜRLICH…
Dämonen wissen, was – natürlich ist.
Natürlich ist, Hass mit Hass zu beantworten. Die Reaktion ist vorprogrammiert. Der Teufelskreislauf auch. Alles erklärt sich von ganz alleine. Nur: hasse ich, bin ich gefangen. Meine Vernunft nennt mich aber frei, klug, vernünftig. Und der Hass wächst.
Natürlich ist, alles zu bezweifeln. Gott auch. Unter meinen Händen zerrinnt seine Wahrheit wie Sand. Ich stehe ganz leer da. Ich habe nichts, worauf ich noch bauen könnte. Mein zur Schau getragenes Selbstbewusstsein ist müde. Die Falten bekomme ich nicht mehr weg.
Natürlich ist, das Letzte auch sich herauszuholen. Von anderen auch. Wir müssen funktionieren. Die Kontrolle über den Knopf, die Maschine einfach auszumachen, haben wir längst aus den Händen gegeben. Selbst im Traum lächelt das Über-Ich böse. Wir lächeln auch dann noch, wenn wir am liebsten nur noch weinen würden. Wir sind ausgeschlachtet.
Natürlich ist … Natürlich. Die Dämonen tarnen sich. Sie tarnen sich so gut, dass es sie eigentlich gar nicht gibt. Sie lieben es, als entmythologisiert zu gelten. Nur: sie sind da. Böse Geister, die Menschen gefangen nehmen, sich ihres Lebens bemächtigen und eine Abhängigkeit nach der anderen schaffen.
Das ist – natürlich?
Unsere Vorfahren glaubten, dass nur der Teufel die Macht hat, die vielen bösen Geister unter die Knute zu bekommen – oder aber: Gottes Reich muss beginnen! Die Spuren finden wir in unserem Evangelium heute. Bevor die Schriftgelehrten den Schluss ziehen, mit Jesus würde das Reich Gottes anbrechen, verdächtigen sie ihn lieber, mit dem Teufel im Bund zu sein. Die Angehörigen Jesu wissen – zu unserem Entsetzen – auch keinen besseren Rat als den, ihn für verrückt zu halten. Ist es so verwunderlich, so verwerflich, so fraglich – dass Jesus die Dämonen austreibt? Wir sehen es jetzt ganz deutlich: Während die Dämonen nach wie vor als normal gelten, muss Jesus wohl verrückt sein.
Dieses Evangelium ist ein Paradebeispiel, ein Lehrstück, ein Meisterwerk dafür, wie die Welt aus den Fugen geraten muss, wenn die Dämonen ausgetrieben werden. Den Vorwurf, verrückt zu sein, hat Jesus in eine Liebeserklärung verwandelt – in eine Liebeserklärung der Menschen, die frei geworden sind, die wieder leben können, die – endlich – anderen erzählen können, was mit ihnen geschehen ist. Ihnen ist der Himmel aufgegangen! Die Schriftgelehrten erzählen derweil immer noch von Beelzebub – als ob der noch Macht hätte. Übrigens, was zum Schmunzeln: Beelzebul ist der Herr – der Fliegen.
HERAUSRUFEN
Bevor wir an das Ende dieser abenteuerlichen Geschichte kommen, sehen wir vor dem Haus: Maria, die Brüder. Anverwandte nennen wir sie. Familie. Von ihnen erzählt der Evangelist, dass sie Jesus herausrufen. Viele Leute sind da, hören mit, sehen zu. Einzelheiten erzählt der Evangelist nicht. Nur: Jesus kommt nicht heraus. Wir bekommen mit, wie Jesus seine Familie neu definiert: alle, die den Willen Gottes tun, sind für ihn Bruder – und Schwester – und Mutter. Was nicht direkt ausgesprochen, aber gemeint ist: Ich soll zu dieser Familie gehören.
Langsam geht mir auf, warum der Evangelist diese Geschichte so erzählt: Gott will, dass die bösen Geister vertrieben werden – um sein Reich aufzurichten. Jesus wird dafür in den Tod gehen. Ob seine Familie ihn schützen will? Ob alle wissen, wohin der Weg geht, den Jesus einschlägt? Ob seine Mutter Angst um ihn hat? Am Ende sehen wir sie unter dem Kreuz stehen. Heraus lässt sich Jesus nicht rufen. Er bleibt an seinem Ort, auf seinem Weg, in seiner Berufung. Wir hören ihn sagen – von Anfang an: Kehrt um – das Reich Gottes ist nahe. Die ersten, die das zu spüren bekommen, sind die bösen Geister – die zweiten: Jesu Familie.
Wenn es darum geht, die Geister, die die Welt beherrschen, auszutreiben – wird es ohne Streit, auch ohne Missverständnisse nicht abgehen. Dass sogar die engste Familie Jesu keinen anderen Rat weiß, als ihn für verrückt zu erklären, mag befremden, fromme Ohren stören, Enttäuschungen provozieren, aber: ich bin dankbar, dass der Evangelist das erzählt!
Die Geschichte Jesu hat sehr menschliche Seiten – um die göttlichen ebenso klar wie machtvoll aufleuchten zu lassen. Aus der – zugegeben – etwas dümmlichen Befürchtung, in der Zeitung könnte stehen „Zoff in der Heiligen Familie“ entsteht eine Schlagzeile, auf die alle Welt wartet: Dämonen vertrieben!
Jetzt weiß ich, wo ich dran bin.
Ich weiß auch, was ich zu tun habe – als Bruder, als Schwester Jesu. Amen.
Ordensgeistlicher Matthias David