WIE NEUGEBOREN

(Predigtgedanken zum 2. Sonntag der Osterzeit / Quasimodogeniti,

Joh 20:19-31)

Der Sonntag heute hat einen schönen Namen: Wie neugeboren! Lateinisch: Quasimodogeniti. Das klingt gut, ist auch weniger eine Beschreibung als ein Ausruf: Wie neugeboren! Man könnte an ein erquickendes Bad nach einem heißen Tag denken, an eine wohltuende Rast nach einem beschwerlichen Weg, an ein gutes Wort nach einem erbitterten Streit. Wie neugeboren!

An diesem Sonntag, der einen so schönen Namen hat, wird die Geschichte von Menschen erzählt, die die Türen hinter sich zumachen. Zumachen aus Angst. Ist Ihnen das auch aufgefallen? Eigentlich erwarten wir heute eine mutige Geschichte. Eine Ostergeschichte eben. Aufmunternd, vielleicht sogar aufregend. Aber wir schauen sozusagen in die gute Stube der Jünger. Da hocken sie nun zusammen, reden von vergangenen Geschichten und lecken ihre Wunden. Sie verstehen die Welt nicht mehr, ihre Gedanken drehen sich im Kreis. Eine Meisterleistung der Angst. Die Jünger gehen nicht mehr raus, sie lassen aber auch keinen zu sich herein.

Auffällig ist das schon! Johannes erzählt die Geschichte als eine Geschichte nach Ostern. Ist es an den Jüngern vorbei gegangen, dass Jesus auferstanden ist? Oder sind sie davon so sehr erschlagen, dass sie damit nicht zu recht kommen? Ich weiß es leider nicht. Ich sehe die Jünger nur ganz im Bann der Frage, was denn die Leute jetzt sagen und – wie sie als Jünger dastehen.
Nein, wie neu geboren sind sie nicht. Die Jünger.

VERSCHLOSSENE TÜREN

Im Evangelium kommt Jesus durch die verschlossene Tür. Ein wunderschönes Bild! Er muss sich nicht bemerkbar machen, erst anklopfen, um Einlass bitten. Er kommt einfach. Es ist, als ob er die Fragen gehört, die Zweifel verstanden, die Ängste wahrgenommen hat. Er muss sich jetzt seinen Jüngern zeigen. Dann wird bei ihnen Ostern! Ein feiner Hinweis, dass Ostern kein Datum, sondern eine Erfahrung, eine Begegnung ist.

Ich weiß von Menschen, welche Rolle die Angst in ihrem Leben spielt. Bis hin zu der bedrängenden Situation, dass sie ihr Leben dichtmachen.
Da ist der alte Mann, die mit seiner Trauer um seine Frau nicht fertig wird, aber auch nicht mehr erwartet, verstanden zu werden. So einen Menschen wie den verlorenen wird er nie mehr finden. Er gräbt sich ein. Ob er Angst vor anderen Menschen hat? Angst vor sich selbst?
Ich sehe den jungen Mann vor mir, der nicht mehr leben kann. Es war eine so leichte Fahrt, ein so schöner Tag. Die Musik dröhnte im Auto. Ein unbedachter Moment – die rasante Fahrt endete an der Leitplanke. Die Freundin war auf der Stelle tot. Die beiden anderen liegen immer noch im Krankenhaus. Jetzt ist er mit einer großen Schuld allein. Er hat Angst, von anderen Menschen angesehen zu werden und zieht sich zurück.
Mir kommt aber auch der Mann in den Sinn, der aus Enttäuschung über seine Ehe nur noch in die Arbeit flieht, rat- und ruhelos. Er mag nicht mehr nach Hause kommen. Die Leere, die ihn erwartet, schmerzt ihn, mehr noch als die ständige Auseinandersetzung, die ihn zermürbt. Er hat keine Worte mehr. Seine Ohren macht er zu. Sein Herz auch.

Ich könnte noch viele Beispiele erzählen, Beispiele, mitten aus dem Leben. Sie könnten noch andere dazu legen. Beispiele, die illustrieren, wie nah und vertraut uns das Bild von der verschlossenen Tür ist. Wer vor einer verschlossenen Tür steht, kann sie mit der Brechstange nicht öffnen – wer sich hinter ihr verbirgt, das Klopfen nicht überhören

GEÖFFNETE TÜREN

Was der Auferstandene mitbringt, wenn er geradezu spielerisch durch die verschlossene Tür kommt, ist – Friede. Wir sind gewohnt, in diesem Wort den Gegensatz zu Krieg und Hass zu sehen, aber das Wort ist der Inbegriff einer heilgewordenen Welt. Hebräisch: Schalom. Das Zerbrochene wird ganz. Das Verlorene gefunden. Friede ist ein anderes Wort für Ostern, für Leben, für einen neuen Anfang.

Die Eigenschaft, durch verschlossene Türen zu kommen, ist uns, Gott sei Dank, nicht gegeben. Wir dürfen achtsam, liebevoll, aber auch beharrlich vor einer Tür stehen, um Einlass bitten und den Frieden bringen. Eine Einladung für den Mann, der in seiner Trauer nicht allein sein muss, ein offenes Ohr für die Not des jungen Mannes, der jetzt einfach reden darf, ein Gespräch unter Kollegen, ob es eine Flucht in die Arbeit geben kann. Gemeinsam ist diesen Annäherungen, dass Menschen die Augen offen halten und den Mut haben, auf einen anderen zuzugehen. Sprich: vor seine Tür zu gehen. Dabei wird es nicht um große Gesten gehen, auch nicht um große Worte:

Der Auferstandene hat es vorgemacht: er bringt einen Gruß, einen Friedensgruß. Die Lösung der Probleme, die Menschen mit sich, der Welt und Gott haben, bringt er nicht mit. Um die dürfen sich seine Jünger kümmern. Wenn sie die Tür wieder aufmachen. Nach draußen gehen – und andere an sich heranlassen. Eine Mut machende Begegnung ist mehr als die halbe Miete – sie kann das ganze Leben verändern. Was das Bild von der Tür so eindrücklich macht, ist, dass es sie geben darf. Sie wird auch so manches Mal geschlossen. Schützend und bergend. Aber dann wird sie wieder aufgemacht. Einladend und befreiend.

Gehen wir dem Bild nach, stoßen wir auf das geöffnete Grab. Johannes erzählt die Ostergeschichte mit feinen Nuancen, auch als eine Geschichte durchlässiger Türen.

ANGEHAUCHT

Höhepunkt dieser Geschichte ist, dass Jesus den Jüngern, Angsthasen allemal, seine Sendung anvertraut. Die, die sich hinter verschlossenen Türen verstecken, werden Boten des Lebens sein, die, die sich zurückziehen, werden der Welt Gottes Liebe schenken. Dass Jesus seine Jünger anhaucht, ist mehr als eine Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte, in der Gott dem Menschen seinen Lebensatem gibt. Die Jünger werden neu geschaffen, neu beseelt. Sie werden mit Heiligem Geist ausgerüstet, der erklärtermaßen kein Geist der Furcht ist, sondern verwandelt: Verzagtheit in Mut,
Resignation in Aufbruch, Tod in Leben.

Der Sonntag heute heißt nicht nur: wie neugeboren – quasimodogeniti – sondern auch: Weißer Sonntag. Das hört sich nach festlicher Schönheit an, nach Reinheit, nach Licht. Der Sonntag hat diesen Namen von den weißen Kleidern, die die Täuflinge, in der Regel erwachsen, in der Frühzeit der Kirche trugen. Für sie bedeutete die Taufe den Aufbruch in ein neues Leben. Aus der Bibel wussten sie, dass die Erlösten mit weißen Gewändern angetan werden – auf denen das Licht Gottes fällt. Sozusagen himmlischer Glanz.

An diesem Sonntag, der einen so schönen Namen hat, wird die Geschichte von Menschen erzählt, die die Türen aufmachen. Aufmachen, um dem Leben Raum zu geben. Wenn es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: Unser Wunsch, heute eine mutige Geschichte zu hören, ist mehr als erfüllt.
Selbst alten Knochen gilt die Verheißung, wie neu geboren zu sein!

Amen.

Seneschall Matthias David