(Predigtgedanken zum 4. Sonntag im Jahreskreis / letzter Sonntag nach Epiphanias, Mk. 1:21 – 28)
„ES IST LANGWEILIG“
„Es ist langweilig“, sagen viele über den Glauben. Tausendmal haben wir die ewig gleichen Floskeln gehört, und doch haben sie uns nicht berührt, nichts bewegt, nichts verändert. Tausendmal haben wir gebetet, doch ohne die Hoffnung, dass sich etwas verändern könnte. Einfach, um unsere Pflicht zu erfüllen, oder vielleicht weil es gut tut, jemanden ansprechen können, wenn uns sonst niemand zuhört und versteht.
Reicht das? – Natürlich nicht! Viele haben sich längst aus diesen oder anderen Gründen aus der Kirche zurückgezogen, andere sehnen sich danach wieder etwas vom Glaubensfeuer zu spüren, das vielleicht irgendwann einmal aufgeflammt war.
In eine solche Situation hinein spielt das heutige Evangelium. Die Synagoge war voll von Menschen, die das Sabbatgebot treu hielten, und die in jedem Gottesdienst den Erklärungen der Schriftgelehrten zuhörten. Sicher versuchten sie, ihr Leben nach dem auszurichten, was sie hörten – und doch war schon lange kein Funke mehr übergesprungen. Doch nun tritt Jesus auf den Plan. Er lehrt „wie einer, der göttliche Vollmacht hat“, heißt es im heutigen Evangelium.
MIT VOLLMACHT
Nicht ein neuer theologischer Ansatz, keine interessanten oder besonders lebensnahen Gedanken werden hier gepriesen. Vielmehr ist es das Auftreten Jesu selbst, das die Menschen in Erstaunen versetzt. Jesus tritt mit Vollmacht auf. In seinen Worten wirkt offensichtlich etwas, was den Menschen Gott selbst offenbart. Die alten Worte, die die Menschen schon so oft gehört hatten – mal so, mal anders ausgelegt – diese alten Worte wurden plötzlich mit Leben gefüllt. Sie lösten Betroffenheit aus. Als ob die Seele in diesen Worten plötzlich etwas wieder finden konnte, was sie kennt. Oder besser gesagt: Den Einen wieder erkennen konnte, nach dem sie sich immer schon gesehnt hat: Gott.
Ich bin überzeugt: Wir brauchen Gott nicht erklären. Die Menschen kennen ihn, tief in jedem Menschen lebt ein untrügliches Wissen über Gott, eine Sehnsucht, ihm zu begegnen. Und nicht nur im Gottesdienst oder in einer Predigt, auch nicht nur durch Priester oder ganz besondere Menschen kann diese Nähe Gottes erfahren werden. Vollmacht wird spürbar, wo ein Mensch bereit ist, sich Gottes Geist zu überlassen. Sie ist der Gemeinde geschenkt, wenn wir von uns und unseren Ideen wegsehen und Gottes Kraft und Weisheit in uns, durch uns, wirken lassen. Sogar eine einfache Begegnung zwischen Menschen kann zur Gottesbegegnung werden, wenn wir bereit sind, innerlich mit dem Heiligen Geist in Verbindung zu bleiben, und ihm erlauben, dass er sich in unserem Handeln allmächtig zeigt – auf die Gefahr hin, dass etwas geschieht, was wir nicht geplant haben und uns herausfordert.
KAMPF
Das zuzulassen ist nicht immer einfach. Was hier im Text vom Dämon ausgedrückt wird, das kennen wir vielleicht auch von unseren Gedanken, wenn Gott uns ansprechen will. „Was haben wir mit dir zu tun?“, schreit dieser Dämon, „Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen?“ Hier beginnt ein Kampf. Das Bisherige und Gewohnte steht gegen das Neue und Unverfügbare, das durch Jesus anbricht. „Geh weg, du machst uns Angst – wir brauchen dich nicht. Wenn wir die Kontrolle über das Bisherige verlieren, wird es uns ins Verderben stürzen.“
Der Dämon zerrt die Frohe Botschaft vom Kommen des Gottesreichs in seinen dunklen Horizont. „Was haben wir mit dir zu schaffen? Du bringst nur alles durcheinander, machst alles so kompliziert.“
Viele, die in ihren Gemeinden und Gemeinschaften versucht haben, sich auf Gottes Geist einzulassen, kennen dieses Misstrauen, das bis hin zur Verleumdung gehen kann.
Der Dämon will seine Macht wiedergewinnen, indem er sagt: „Ich weiß, wer du bist: Der Heilige Gottes.“ Den Namen von jemand zu wissen, seinen Auftrag zu kennen, das bedeutet Macht. Über jemand zu sprechen bedeutet, ihn und sein Handeln zur Diskussion zu stellen, über ihn zu urteilen. Doch Jesus befiehlt dem Dämon zu schweigen und den Mann zu verlassen.
GOTT OHNE DEUTENDE VERZERRUNG BEGEGNEN
Nicht das Wissen über Jesus, über Gott, über das Glaubensbekenntnis oder eine noch so wichtige Wahrheit macht die Menschen frei. Es braucht eine persönliche Erfahrung, in der aufleuchten darf, dass Gottes Kraft unser Leben zum Guten hin verändern will.
Jesus treibt den Dämon aus. Der Mann soll frei sein, mit dem Heiligen, dem Wirken Gottes selbst ganz eigene Erfahrungen zu machen. Er soll ohne deutende Verzerrung Gottes Wesen frei begegnen können.
Die Freiheit, sich auf den Weg zu machen, Gottes Wahrheit zu begegnen, außerhalb von Formeln, auswendig gelernten Glaubensbekenntnissen und negativen Vorurteilen – danach sehnen sich auch viele Menschen heute.
WIRKSAMEN ZEICHEN DER GEGENWART GOTTES SUCHEN
Vielleicht auch manche von uns. Sind wir bereit, uns neu auf diesen Weg zu machen – nach wirklichen, wirksamen Zeichen von Gottes Gegenwart zu suchen? Bitten wir aus ganzem Herzen darum, ihm begegnen zu dürfen, auch wenn er uns verwirren und herausfordern kann? Auch wenn er die Schubladen sprengt, in die wir ihn eingesperrt haben, um ihn fassen zu können und unser Leben bequem einrichten zu können?
Das Markusevangelium, mit dem wir in diesem Kirchenjahr unterwegs sind, wird uns immer wieder vor diese Frage stellen. Wenn wir bereit sind, uns herausfordern zu lassen, werden wir mehr und mehr die alles verändernde Macht von Jesus am Kreuz begreifen und die alten Glaubensworte werden neue Resonanz in uns auslösen. Wir dürfen gespannt sein, wohin Gottes Geist uns dann in diesem Jahr führen wird.
Seneschall Matthias David